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eines âleidenschaftliche[n] Korrigierer[s]â, entworfen hatÂ
â âim Geheimen zu ver-
öffentlichen und dann den veröffentlichten Text zum eigenen VergnĂŒgen einer
fĂŒrchterlichen Revision zu unterziehenâ 112Â
â, wird in Korrektur als destruktives Ver-
fahren der Textproduktion auf die Spitze getrieben. Ist es in anderen ErzÀhltexten,
etwa in Beton (1982), die störende Umgebung, die die schriftliche Fixierung einer
âGeistesarbeitâ vermeintlich sabotiert, ja diese in letzter Konsequenz âzuerst zer-
stört und dann endgĂŒltig vernichtetâ (TBW 5, 8 u.Â
10), fĂŒhrt Bernhard in Korrektur
am Beispiel des Architekten Roithamer die Radikalisierung einer autodestruktiven
Schreibbewegung vor Augen, an deren Ende die ultimative âSelbstkorrekturâ steht:
der Suizid; denn die âeigentliche wesentliche Korrekturâ kann, wie der ErzĂ€hler
den Protagonisten zitiert, nur durch den âSelbstmordâ vollzogen werden (TBW
4, 286).113 Willi Huntemann hat darauf hingewiesen, dass sich eine ganz Àhnlich
gelagerte Konstellation bereits im Ende der 1950er Jahre entstandenen, aber erst
1989 im Residenz Verlag publizierten Text In der Höhe. Rettungsversuch, Unsinn
findet: âSie streichen sich selbst wegâ, heiĂt es dort in einer Passage, ohne dass klar
wird, um wen es sich bei den am GesprĂ€ch beteiligten Personen handelt, âwenn
Sie aus dem Manuskript noch etwas wegstreichen, Sie streichen sich aus, heraus,
vollkommen weg, im Lauf der Jahre haben Sie sich ganz konsequent aus Ihrem
Manuskript herausgestrichen, totgestrichen haben Sie sich, einfach totgestrichenâ
(TBW 11, 41).114 Auch hier wird der Korrekturprozess als fĂŒr den Korrigierenden
letztlich letaler Vorgang geschildert.115 Autoikonoklasmus und Autodafé sind in
Bernhards ProsawerkÂ
â man denke etwa an den Maler Strauch in Frost, der seine
Henry Jamesâ abzustammen, ânicht von unseren Elternâ (TBW 19, 230 u. 255); wie in Drei Tage
erscheint der Romancier hier als eine Art Erzieher und Initiationshelfer.Â
â Zu Bernhards BezĂŒgen
zu Henry James vgl. Tobias Heyl: Zeichen und Dinge, Kunst und Natur. Intertextuelle Bezug-
nahmen in der Prosa Thomas Bernhards. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 1995, S.Â
150 â 154, der Jamesâ
Roman Die Madonna der Zukunft (1875) als âPrĂ€textâ fĂŒr Bernhards DebĂŒt Frost (1963) ausmacht.
Dazu jetzt Andreas GöĂling: Frost. In: Bernhard-Handbuch (Anm. 24), S. 37 â 46, hier S. 40 f.
112 Henry James: Die mittleren Jahre. ErzĂ€hlung. Aus dem Englischen ĂŒbertragen u. mit einem
Nachwort v. Walter Kappacher. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2015, S. 29 f.
113 Dazu Andreas GöĂling: Thomas Bernhards frĂŒhe Prosakunst. Entfaltung und Zerfall eines
Ă€sthetischen Verfahrens in den Romanen Frost â Verstörung â Korrektur. Berlin, New York:
de Gruyter 1987, S. 323; Wilhelm VoĂkamp: âAuslöschungâ. Zur Selbstreflexion des Bildungs-
romans im 20. Jahrhundert bei Thomas Bernhard. In: Literatur und Demokratie. Festschrift
fĂŒr Hartmut Steinecke zum 60. Geburtstag. Hg. v. Aldo Allkemper u. Norbert Otto Eke. Berlin:
Erich Schmidt 2000, S.Â
231 â 244, hier S.Â
239 f.; Anne Thill: Die Kunst, die Komik und das ErzÀh-
len im Werk Thomas Bernhards. Textinterpretationen und die Entwicklung des Gesamtwerks.
WĂŒrzburg: Königshausen & Neumann 2011, S. 214 f.; zuletzt auch Stefano Apostolo: Thomas
Bernhards unveröffentlichtes Romanprojekt Schwarzach St.Â
Veit. Das Konvolut, die Fassungen
und ihre Deutung. Mattighofen: Korrektur 2019, S. 12 â 16.
114 Vgl. Huntemann: Artistik und Rollenspiel (Anm. 37), S. 37 f., Anm. 57.
115 Laut Hahn: Geschichte und Epigonen (Anm. 37), S. 446, handelt es sich dabei um ein umfas-
sendes âVerfahren des Weg- oder Totstreichensâ.
Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas
Bernhard378
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471