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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Er sei ĂŒberzeugt, so der ErzĂ€hler, der sich die apodiktische Rhetorik des Verstor- benen rasch zu eigen macht, dass Roithamer durch „die totale Korrektur seiner Studie“, die „von ihm nicht vernichtet, sondern vollendet worden“ sei, den Cha- rakter der Studie „in einem infamen Korrekturprozeß in sein Gegenteil verkehrt“ habe, ja diese im Zuge der nochmaligen Bearbeitung „erst zur vollendeten Studie geworden“ sei (TBW 4, 77). Zwar könne „[j]ede Korrektur“ mit „Zerstörung, Ver- nichtung“ gleichgesetzt werden, sie berge aber auch das Potential, dass, „durch die Vernichtung des alten, ein völlig anderes, neues Manuskript entsteht“ (TBW 4, 313). Die Perfektionierung der intellektuellen Substanz des Geschriebenen 128 steht dabei in einem SpannungsverhĂ€ltnis zum Abbruch der Anstrengungen als Krönung der Unternehmung, sei es doch, so Roithamer zweideutig, „das Höchste“, „kein neues [Manuskript] mehr entstehen zu lassen, nichts mehr zu korrigieren, zu vernichten“ (TBW 4, 313). Ob das ideale Ende des Korrekturvorgangs hier die Vollendung der Schrift im Sinne eines endgĂŒltigen, nicht mehr korrekturbedĂŒrf- tigen Textes oder aber im Gegenteil die vollstĂ€ndige Vernichtung aller Textstufen meint, bleibt in der Schwebe. Die Erkenntnis der UnzulĂ€nglichkeit des schriftlichen Ausdrucks fĂŒhrt in Bernhards Roman, „wenn der Zeitpunkt fĂŒr eine solche Korrektur ist“, zur radikalen KĂŒrzung des Textes: „[D]ann korrigiere ich und dann korrigiere ich das Korrigierte“, wie der ErzĂ€hler seinen Freund zitiert, „und das Korrigierte korrigiere ich dann wieder undsofort“ (TBW 4, 285). Die Studie, in der „alles, was Roithamer jemals gedacht hat, in der konzentriertesten und in der ihm ent- sprechendsten Weise“ vorliegt (TBW 4, 157), wird, mit Henry James gesprochen, einer „fĂŒrchterlichen Revision“ unterzogen; „eine endgĂŒltige Form“ der Stu- die wird dabei, wie im Fall von James’ „Korrigierer“ Dencombe, nie erreicht.129 Aus einer ursprĂŒnglich 800-seitigen Niederschrift habe Roithamer zunĂ€chst eine „zweite dreihundert Seiten lange Fassung“ erstellt, aus der wiederum eine „Achtzigseitenfassung“ hervorgegangen sei, die Roithamer „auf der Fahrt von London nach Altensam“ erneut zu korrigieren begonnen habe, „indem er, wie er glaubte, diese letzte kĂŒrzeste Fassung auch noch einmal kĂŒrzen und eine noch kĂŒrzere Fassung hatte herstellen wollen“; aus dem â€žĂŒber achthundert Sei- ten umfassenden Material“ seien schließlich, „wie ich aus seinen Korrekturen ersehen kann“, am Ende „nurmehr noch zwanzig oder dreißig Seiten“ ĂŒbrig 128 Wie Thill: Die Kunst, die Komik und das ErzĂ€hlen (Anm.  113), S.  211, gezeigt hat, entspricht diese „Form des Korrigierens“ in Korrektur ganz allgemein Bernhards „Prinzip des durch stĂ€n- diges Zerdenken immer prĂ€ziser werdenden Denkens“. Vgl. dazu auch Kappes: SchreibgebĂ€rden (Anm.  98), S.  190: „Es ist immer eine Korrektur des Geschriebenen vonnöten hinsichtlich eines differierenden Moments, eines von der Beschreibung UnberĂŒcksichtigten, Nicht-Erkannten und Nicht-Gesagten, eine Korrektur, zu der Texte Bernhards in fortlaufenden Wiederholungen ansetzen, die sie aber nie vollstĂ€ndig zu leisten imstande sind.“ 129 James: Die mittleren Jahre (Anm.  112), S.  29 f. Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard382 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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