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Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Gomagoi erlĂ€utert der ErzĂ€hler  – er arbeitet seit langer Zeit an einer meteoro- logischen Studie  – das Problem kĂŒnstlerischer Perfektionierung am Beispiel seines Bruders: Dieser beginne immer wieder aufs Neue mit der Erarbeitung eines KunststĂŒcks; er entwickle seine Kunst „bis zu dem Grade ihrer Vollkom- menheit“, der aber „gleichzeitig der Grad ihrer Auflösung, ihres Zerfalls“ sei (TBW 14, 171). Das geschilderte Problem betrifft beide BrĂŒder gleichermaßen: WĂ€hrend der eine am Ausdruck seiner „Körperkunst“ (TBW 14, 172) feilt, arbei- tet der andere an einer wissenschaftlichen Studie, die zwar „immer wieder eine noch viel kompliziertere Arbeit“, aber „doch immer wieder die gleiche ĂŒber die Luftschichten“ (TBW 14, 168) sei. Wiederholung und Überbietung des bereits Geleisteten stehen stĂ€ndig in einem prekĂ€ren, an der psychischen Substanz der BrĂŒder nagenden VerhĂ€ltnis. „Ursache aller Schriften, Zweifel ĂŒber ihr Thema, du verstehst, alles anzweifeln, alles aus der Finsternis herausrecherchieren und anzweifeln und vernichten. Alles. Ohne Ausnahme. Schriften sind zu vernich- tende Schriften.“ (TBW 14, 172) Als zentrale Herausforderung beschreibt der Artist die „Schwierig keit“, die Ergebnisse des eigenen Tuns  – als Wissenschaft oder als artistic research  – „zu zeigen oder zu veröffentlichen, ohne augenblick- lich Selbstmord machen zu mĂŒssen“. Kunst und wissenschaftliche Forschung folgen, so vermittelt es das Schicksal der beiden BrĂŒder, im Grunde Ă€hnlichen Prinzipien: „Körperkunst“ und „Geisteskunst“ stehen jeweils im Spannungs- feld von Vollendung und Vernichtung, und die „Hölle der Veröffentlichung“ (TBW 14, 172) trĂ€gt dazu einen wesentlichen Teil bei.135 In Äußerungen wie diesen sind die Grundkoordinaten des Schreibprojekts Korrektur, das Bernhard ĂŒber insgesamt vier Jahre verfolgt hat, im Kern angelegt. Der fertiggestellte Roman ĂŒberschreitet in der Folge zwar die im Brief an Botond umrissene Konstellation deutlich, weil er den Protagonisten an seiner drastischen Selbstkorrektur auch physisch zugrunde gehen lĂ€sst, macht den Bezug zu seiner Entstehungsgeschichte aber keineswegs unsichtbar, sondern stellt ihn im Spiel mit der „Korrektur der Korrektur der Korrektur der Korrektur“ (TBW 4, 317) ostentativ aus. Pierre Bourdieus Idee der „Selbstobjektivierung“,136 die der franzö- sische Soziologie anhand von Gustave Flauberts Éducation sentimentale entworfen hat, geht von Ă€hnlichen Voraussetzungen aus: „Im Schreiben einer Geschichte, die die seine [i. e. Flauberts] hĂ€tte sein können, negiert er, daß diese Geschichte eines Scheiterns die Geschichte desjenigen ist, der sie schreibt.“ 137 Bezogen auf 135 Vgl. Huntemann: Artistik und Rollenspiel (Anm.  37), S.  21, der bei den beiden BrĂŒdern eine „Angst vor der EntĂ€ußerung ihrer Produkte“ feststellt. Dazu auch die Überlegungen in Kappes: SchreibgebĂ€rden (Anm.  98), S.  65 f, sowie zum Motiv der „Veröffentlichungsqual“ bei Bernhard die Notizen von Schmied: Auersbergers wahre Geschichte (Anm.  47), S.  148 – 150. 136 Bourdieu: Die Regeln der Kunst (Anm.  54), S.  55. 137 Ebd., S.  57. Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas Bernhard384 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Title
Strategen im Literaturkampf
Subtitle
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Author
Harald Gschwandtner
Publisher
Böhlau Verlag
Location
Wien
Date
2021
Language
German
License
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Size
15.7 x 23.9 cm
Pages
482
Keywords
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Category
Kunst und Kultur

Table of contents

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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