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Gleich darauf gibt er freimĂŒtig die psychologische Notwendigkeit dieser erzwun-
genen BestĂ€tigung, seine emotionale BedĂŒrftigkeit preis; sie wirft ein bezeich-
nendes Licht auf die bloà prÀtendierte UnabhÀngigkeit vom Urteil anderer:
Da ihr selbst
nicht auf die Idee kommt
mir zu sagen
wer ich bin
muĂ es erzwungen werden
Ich habe keine andere Wahl mein Kind (TBW 19, 162)
Nicht um Erkenntnis durch die kritische Vermittlung zwischen Selbst- und Fremd-
bild ist es Bruscon zu tun. Der Schauspieler ist von den Lobesworten seiner Fami-
lienmitglieder abhÀngig, selbst wenn ihm diese den Wunsch nur widerwillig und
nicht aus eigenem Antrieb erfĂŒllen.164 Bruscons Begehr richtet sich nicht mehr auf
die differenzierte Auseinandersetzung mit seiner kĂŒnstlerischen Praxis, mit der er
womöglich in einen produktiven Dialog treten könnte, sondern er gibt sich mit
der routinierten BestÀtigung durch seine Verwandten, von deren Urteil er doch
eigentlich wenig hĂ€lt, zufrieden: âAuch wenn er die Replik erzwingen mussâ, so
Stefan Krammer, der sich intensiv mit kommunikativen Machtkonstellationen in
Bernhards Dramen beschĂ€ftigt hat, âscheint das Ritual in seiner IterabilitĂ€t und
Zitathaftigkeit ein probates Mittel zu sein, sich seiner superlativischen Stellung
gewahr zu werden. Wichtig ist dabei aber, dass diese im wiederholten Sprechakt
immer wieder von Neuem bestĂ€tigt wird.â 165 So erweist sich die Figur des Bruscon
nicht nur als âwitzige Selbstparodie der Kunstprogrammatik Bernhardsâ,166 sondern
164 Zur hierarchischen Struktur der Figurenkonstellation vgl. Judex: Thomas Bernhard (Anm.Â
126),
S.Â
92 f.; Stefan Krammer: Der Theatermacher. In: Bernhard-Handbuch (Anm.Â
24), S.Â
246 â 250,
hier S. 246, zufolge zeigt das StĂŒck âeine hegemoniale MĂ€nnlichkeit, die innerhalb familiĂ€rer
Strukturen aufrechterhalten wirdâ: âIn dieser spezifischen Konstellation wird ein problema-
tisches Familiensystem deutlich, das dem Vater scheinbar das Recht dazu gibt, Frau und Kinder
auf sein Lebensziel zu verpflichten.â
165 Stefan Krammer: Figurationen der Macht. Rhetorische Strategien in Thomas Bernhards
Dramen. In: Rhetorik und Sprachkunst bei Thomas Bernhard (Anm. 27), S. 91 â 103, hier
S. 98. Zur âGewalt asymmetrischer Kommunikationâ bei Bernhard vgl. Eva Marquardt:
Gegenrichtung. Entwicklungstendenzen in der ErzĂ€hlprosa Thomas Bernhards. TĂŒbingen:
Niemeyer 1990, S. 27, sowie Verena Ronge: Frauenfiguren im dramatischen Werk Thomas
Bernhards. Zur Subversion des Bildes der sprach(macht)losen Frau. In: Text + Kritik (42016),
H. 43, S. 200 â 212.
166 Hans Höller: Thomas Bernhard. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1993, S. 126; vgl. dazu auch
Nicholas J. Meyerhofer: The Laughing Sisyphus. Reflections on Bernhard as (Self-)Drama-
tist in Light of His Der Theatermacher. In: Modern Austrian Literature 21 (1988), H. 3/4,
S. 107 â 115.
Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas
Bernhard392
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471