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Energie 17 zu nicht unwesentlichen Teilen aus streitbarer Konfrontation und
polemischer Abgrenzung von anderen Akteuren im literarischen Feld resultiere:
âSeine Arbeitâ, heiĂt es in einem 1959 von Bernhard selbst verfassten und in der
Monatsschrift Morgen veröffentlichten PortrĂ€t, âverrichtet er mit Energie, mit
ZĂ€higkeit und mit GleichgĂŒltigkeit gegenĂŒber seinen Feinden.â (TBW 22.1, 577)
âSie haben es fertiggebrachtâ, schreibt Anneliese Botond am 1. Mai 1967 an
Bernhard ĂŒber dessen zweiten Roman Verstörung, âsich mit diesem Buch, ĂŒber
das alle KritikerÂ
[âŠ] mit Messern und mit ZĂ€hnen und Krallen hergefallen sind
und noch herfallen werden, als grosser Autor zu etablieren.â 18 Seine âWĂŒrde als
Autorâ sei, so die Lektorin, auf den ersten Artikel des deutschen Grundgesetzes
anspielend, weiter, von den Verrissen des Buches âunangetastetâ: Unwillen und
UnfÀhigkeit der Kritiker, sich auf die poetische Faktur des Romans einzulassen,
sei vielmehr ein Auftrag an den Autor, seinen Weg beharrlich weiter zu verfolgen:
Sie selber werden zu Ende denken mĂŒssen, was die Kritiker Ihnen schuldig geblieben
sind, und so werden Sie, nicht die Kritiker, herausfinden, ob tatsĂ€chlich â was mich
am meisten beschĂ€ftigt, worĂŒber ich mir aber noch nicht im klaren bin â in der Art
zu schreiben, die Ihnen die liebste ist, in der Denksprache (um es verkĂŒrzt so auszu-
drĂŒcken), von der Sache selbst her eine Unmöglichkeit liegt.19
Botonds Brief, am Tag der Arbeit des Jahres 1967 geschrieben, ist SolidaritÀts-
adresse und Ansporn zu weiteren literarischen Unternehmungen zugleich. Es
war gerade diese Mischung aus persönlicher Anteilnahme, emotionaler RĂŒcken-
deckung und professioneller UnterstĂŒtzung, die Bernhard an Botond so sehr
schĂ€tzte: âSie gehen allein in eine Richtungâ, schreibt die Lektorin dem Autor
wenige Monate spĂ€ter, âin die Ihnen das Gros vermutlich nur notgedrungen
folgen wirdâ.20 Botond sekundiert Bernhard in seiner Skepsis gegenĂŒber der
Literaturkritik, indem sie nicht die Kritiker, sondern den Autor selbst darĂŒber
urteilen lĂ€sst, ob es sich bei seiner âArt zu schreibenâ um eine âUnmöglich-
keitâ handelt.
âEr hat den Widerstand gebraucht, und er ist am Widerstand, der ihm ent-
gegengetreten ist, den er zu ĂŒberwinden hatte, an dem ist er sicherlich gewachsen,
17 Die in der ErzĂ€hlung Ungenach (1968) beschworene âungeheure Energie gegen das Gemeine,
Voraussetzungslose, NiedertrÀchtige, Niedrige, gegen den Menschenunsinn und gegen die Men-
schenbrutalitĂ€tâ (TBW 12, 21), kehrt spĂ€ter in Statements des Autors, die seine eigene Situation
als Schriftsteller betreffen, wieder.
18 Anneliese Botond an Thomas Bernhard, 1. 5. 1967. In: Anneliese Botond: Briefe an Thomas
Bernhard. Mit unbekannten Briefen von Thomas Bernhard. 1963 â 1971. Hg. v. Raimund Fellinger.
Mattighofen: Korrektur 2018, S. 111.
19 Ebd.
20 Botond an Bernhard, 19. 8. 1967. In: ebd., S. 127.
Kraft durch Feinde: Eine Art
Epilog402
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471