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und er hat diesen Widerspruch provoziert“, so Bernhards langjähriger Freund
und Weggefährte Wieland Schmied.21 Die Überzeugung, „praktisch eh alle gegen
[s]ich“ zu haben und mit seiner Literatur fast ausschließlich auf Ablehnung gesto-
ßen zu sein (TBW 22.2, 272),22 der er in diversen Genres und mitunter sprachlich
virtuos Ausdruck verliehen hat, ist für Bernhards Modell von Autorschaft von
zentraler Bedeutung. In einem Ende 1980 verfassten Brief an Gerhard Ruiss, der
kurz darauf auch öffentlich gedruckt wurde, hat Bernhard diese Frontstellung
pointiert festgehalten:
[M]eine Existenz als Schriftsteller in Österreich, das meine natürliche Heimat ist,
war von Anfang an von bösartiger Verleumdung und Ignoration begleitet gewesen
und immer sind auf Perioden gehässiger Verleumdung solche der totalen Ignoration
gefolgt und da ich meine Landsleute kenne, wird sich auch in Zukunft daran nichts
ändern, die Verleumdung wird eine noch größere sein, die Ignoration eine totalere,
ich kenne die Situation jetzt schon über drei Jahrzehnte, solange schreibe und ver-
öffentliche ich. (TBW 22.1, 665)
Immer wieder hat Bernhard diese pauschale, auf konkrete Beispiele bewusst
verzichtende Diagnose auch auf das Verhältnis von Literatur und Literaturkritik
bezogen; die beklagte „Verleumdung“ schließt nicht zuletzt die Rezeption seines
literarischen Werks in Tages- und Wochenzeitungen, insbesondere durch öster-
reichische „Inkompetenzschmierer“ (TBW 19, 107), mit ein. Er habe sich jedoch,
so Bernhard im zitierten Brief an Gerhard Ruiss, mittlerweile „mit der totalen
Geistlosigkeit dieser Gesellschaft abgefunden und hege nicht einmal mehr den
geringsten Vorwurf“, denn er wolle seine „Arbeit fortsetzen und mich nicht
durch die Übermacht des Stumpfsinns, der hier herrscht, schwächen lassen“
(TBW 22.1, 666). Wenn der eigenwillige Physiognomiker Koller im ebenfalls
1980 erschienenen Prosaband Die Billigesser doziert, „der Geistesmensch“ müsse
„schon im Augenblick der Geburt den Kampf gegen die Masse aufnehmen“, weil
er „natur
gemäß immer die Masse und also unvermeidbar, pathetisch ausgedrückt,
die ganze Menschheit gegen sich“ habe (TBW 13, 162), wird das Konzept des ein-
samen, der Feindschaft seiner gesamten Umwelt ausgesetzten Solitärs freilich
auch ironisch unterlaufen; im Gestus der hyperbolischen Stilisierung wird die
21 Krista Fleischmann: Wieland Schmied. In: K. F.: Thomas Bernhard
– Eine Erinnerung (Anm.
6),
S. 9 – 22, hier S. 20.
22 Auch viele Figuren Bernhards entdecken – so etwa in der Erzählung Der Wetterfleck (1971) –
mit paranoider Aufmerksamkeit „[ü]berall“ Zeichen des Hasses gegen sich (TBW 14, 156); diese
Konstellation findet sich ebenso in Selbstauskünften des Autors Bernhard: „die Feinde sind
überall“ (TBW 22.1, 667).
– Brigitte Prutti: Festzertrümmerungen. Thomas Bernhard und seine
Preise. Bielefeld: Aisthesis 2012, S.
129, hat in Bernhards einschlägigen Statements ein nicht zu
unterschätzendes „paranoide[s] Moment“ ausgemacht.
Kraft durch Feinde: Eine Art Epilog 403
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471