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auf Probleme seines Schreibens aufmerksam zu machen: „Es gibt gewisse Kriti-
ken, die mir zeigen: Aha, ich bin in der Gefahr, so hinzutrudeln. Das Maß ist so
schwer zu erreichen, dieses Maß zwischen dem ICH, das man ist, und den anderen;
daß man da ein Gleichgewicht findet, ist höllisch schwer – das hat vielleicht nur
Goethe erreicht.“ 31 Das Ideal eines produktiv wütenden Kritikers, das Handke in
weiterer Folge entwirft, ist freilich ambivalent, gestehen Autorinnen und Autoren
eine solche polemische Intervention for the good of all doch meist nur sich selbst
zu, reagieren auf entsprechende Verrisse selbst aber überaus sensibel und verstehen
die dort formulierten Einwände weniger auf der Sach- als auf der Beziehungsebene:
Und wenn Sie als Kritiker mal wirklich eine existenzielle Wut kriegen, dann werden
Sie natürlich nicht nur einen sogenannten Verriß schreiben, sondern Sie werden ver-
suchen, von Grund auf zu beschreiben, nicht nur was da an dem Buch, sondern an
einer bestimmten Lebensauffassung Ihnen mißfällt, was Sie als Pose, Theatralik und
als Getue ansehen. Und das wird den oder die dann vielleicht im Schreiben vernichten,
aber es wird sie oder ihn noch mehr dazu bringen können, seine Positionen ganz zu
überdenken oder irgendwie eine Art Gleichgewicht herzustellen. Und in dem Sinne
empfinde ich auch gewisse Kritiken als Korrektur. Ich brauche das auch.32
Im Herbst 1977 nahmen zahlreiche Rezensenten Handkes kurz zuvor veröffent-
lichten ersten Journalband Das Gewicht der Welt mehr als nur reserviert auf.
Ulrich Greiner etwa warf dem Autor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor,
radikal „ichbezogen“ und „selbstherrlich“ zu sein,33 Reich-Ranicki äußerte sich
nur zwei Tage später im selben Medium nachgerade despektierlich über Hand-
kes aktuelles Buch: Es dokumentiere, so der Kritiker, „den Verfall eines Talents,
dessen Größenwahn jegliche Selbstkontrolle ausgeschaltet hat“.34 Mogens Mohn,
Rezensent der linken Monatsschrift konkret, fühlte sich bei der Lektüre von Das
Gewicht der Welt gar an seine Diarien „aus der Primaner-Zeit“ erinnert, hielt
sich jedoch zugute, derart „Größenwahnsinnig-Pubertäres“ aus der eigenen Feder
längst „verbrannt“ zu haben.35
Anfang 1978 trat Siegfried Unseld mit dem Vorschlag an Handke heran,
„paral lel zum Taschenbuch“ – das bei Residenz erschienene Buch sollte als
31 Heinz Ludwig Arnold: Gespräch mit Peter Handke. [1975] In: Text + Kritik (31976), H. 24/24a,
S. 15 – 37, hier S. 36.
32 Ebd.
33 Ulrich Greiner: Peter Handke und das Glücksgefühl, eine Flasche Mineralwasser anschauen
zu können. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 10. 1977; unter dem Titel Ein routinierter
Narziß auch in U. G.: Der Tod des Nachsommers (Anm. 5), S. 92 – 97, hier S. 93.
34 Marcel Reich-Ranicki: Deutsche Literatur 1977. Ein Überblick aus Anlaß der Frankfurter Buch-
messe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 10. 1977.
35 Mogens Mohn: Nicht mehr mit Simmel allein. In: konkret (1977), H. 12, S. 37 – 38, hier S. 37.
Kraft durch Feinde: Eine Art
Epilog406
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Title
- Strategen im Literaturkampf
- Subtitle
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Author
- Harald Gschwandtner
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Size
- 15.7 x 23.9 cm
- Pages
- 482
- Keywords
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471