Seite - 126 - in Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
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verfasst und zum Teil direkt an den Kaiser adressiert, der persönlich Anteil an
den Aktivitäten der berühmten Autorin nahm. Es bestand der Verdacht, dass
ihre Ausweisung aus Frankreich durch Napoleon nur eine Tarnung für Spiona-
getätigkeit und Konspiration in Österreich bildete. Umso größer war die Ent-
täuschung, dass die Observierung nur harmlose Kontakte zur österreichischen
Noblesse und politisch belanglosen Klatsch ergab.95 Das ,brisanteste‘ Ergebnis
der Ermittlungen war die Feststellung, dass die Autorin in Salongesprächen für
den Konstitutionalismus eintrat. Nie habe sie aber politischen Schaden ange-
richtet, wie Franz Josef Graf Saurau, der Gouverneur der Lombardei, am
1. November 1815 zusammenfassend bestätigte:
Il est évident que ses principes, ses vues et déclarations la désignent comme une initiat-
rice des formes constitutionnelles de gouvernement et des idées dominantes devant trans-
former le monde européen en ces formes nouvelles. Mais elle n’a nullement donné prise
sur soi ou dépassé les limites du raisonnement par quelque effet politique nuisible.96
(Es ist offensichtlich, dass ihre Grundsätze, Ansichten und Erklärungen sie als Ver-
fechterin der konstitutionellen Regierungsformen und der vorherrschenden Ideen,
die Europa im Sinn dieser neuen Formen umgestalten wollen, ausweisen. Aber sie
hat sich in keiner Weise persönlich kompromittiert oder die Grenzen des Räsonne-
ments überschritten und politischen Schaden angerichtet.)97
Byron hatte aus seinem Abscheu vor den österreichischen „huns“ und „barba-
rians“, die den liberalen Fortschritt verhinderten, keinen Hehl gemacht. Kein
Wunder, dass sich Metternich nur allzu leicht von der Gefährlichkeit der Eng-
länder auf der italienischen Halbinsel überzeugen ließ. Am 25. Dezember, ein
halbes Jahr nach der Revolution in Neapel, berichtete er dem Kaiser:
Engländer mit solch radicalen Grundsätzen wie sie […] Lord Biron in Ravenna bethä-
tigt und wie solche […] von den Lord Kinaird und Hamilton bekannt sind, müssen
95 Einige Beispiele für enttäuschende Ergebnisse: Der/die Bediente hatte nichts Außergewöhnli-
ches zu berichten („Dans la maison qu’habite Mme de Staël on dispose d’une personne de con-
fiance, et sur ses assurances il ne s’est rien passé de particulier à signaler.“ S. 19), ihr entwen-
detes Tagebuch enthielt nur philosophische und kunstkritische Aufzeichnungen („On a trouvé
l’occasion de se le procurer trois fois et de pouvoir le lire entièrement. Il contient surtout des
essais sur la philosophie et les arts.“ S.
24), es entstand der Eindruck, dass man ihre Bedeutung
überschätzt hatte („[...] il semble toujours que l’on ait attribué à cette femme plus d’importan-
ce qu’elle n’en mérite en réalité!“ S. 25). Zitate aus Georges Solovieff: Madame de Staël et la
police autrichienne. In: Cahiers Staëliens, nouvelle série No. 41 (1989–1990), S. 13–54.
96 Zitiert nach ebd., S. 52.
97 Übersetzung vom Verf., N. B.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
126 3. Die Zensur als Instrument der Repression: Die Ära Napoleons und der Vormärz (1792–1848)
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510