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diener“ an der Aktion teilnahmen. Das Versteck wurde ohne Schwierigkeiten
gefunden, aber es fand sich darin „nur Weniges zu beanständen“. In den Rega-
len im Verlagszimmer stellten die Beamten, hinter den Büchern aus eigenem
Verlag versteckt, dann aber doch zahlreiche verbotene Ware sicher. Die Beute
– „1000
Hefte und Bände“ – war so reich, dass „drey Personen zur Verschaffung
derselben in das hiesige Amtsgebäude mittels bedekter Butten und Schubkarren
verwendet werden mußten.“ Unter anderem fanden sich in mehreren Exemp-
laren die besonders verpönten und deshalb zur Konfiskation bestimmten Titel
Oesterreich im Jahre 1843 und Oesterreich und dessen Zukunft von Victor Frei-
herrn von Andrian-Werburg sowie die Spaziergänge eines zweiten Wiener Poeten
von Ferdinand Avist. Fast ist man versucht, Grillparzers launiger Bemerkung in
seiner Selbstbiographie zu glauben, nach der die Zirkulation verbotener Schrif-
ten in Österreich „so allgemein als irgendwo in der Welt“ war und er einen „Fia-
ker auf dem Kutschbock ,Östreichs Zukunft‘ lesen gesehen“ habe.131 Tatsächlich
soll die erste Auflage von Andrian-Werburgs Oesterreich und dessen Zukunft,
die 2000
Exemplare umfasste, zur Gänze in Österreich vertrieben worden sein.132
Die Wiener Buchhandelsfirma Tendler & Schäfer war offenbar Campes Wiener
Kommissionär und verteilte, obwohl das Buch unmittelbar nach Erscheinen im
Dezember 1842 in Wien verboten worden war, laut Andrian-Werburgs Tage-
bucheinträgen Exemplare in großem Stil.133
Der Visitation folgte ein Verhör Karl Gerolds. Die Einrichtung des geheimen
Lagers erklärte er mit Platzmangel; die verbotenen Bücher seien für Besitzer von
Scheden angeschafft, von diesen aber nicht abgeholt oder nach der Lektüre
zurückgegeben worden. Die oben genannten, besonders brisanten Titel seien
ihm von dem durchreisenden Brüsseler Buchhändler Cans zur Nachsendung
übergeben worden. Für die Polizei bestand trotz dieser Aussagen weiterhin der
dringende „Verdacht des rücksichtlosesten Handels mit verbotenen Büchern“.
Gleichzeitig vermerkt der Verfasser des Protokolls aber resignativ, dass „bei dem
bekannten laxen Vorgange des hiesigen Magistrates“ ein Schuldspruch unwahr-
scheinlich sei, „wie denn überhaupt jeder hiesige Buchhändler in den meisten
131 Grillparzer: Selbstbiographie. In: Grillparzers Werke in sechs Bänden. Bd. 5, S. 295.
132 Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg: „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen
wie die Stimme Gottes in der Wüste“. Tagebücher 1839–1858. Hg. u. eingeleitet von Franz Adl-
gasser. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2011, Bd. 1, S. 380 (23.4.1843).
133 Am 19.1.1843 notiert er: „Übrigens geht das Buch hier [in Mailand] sehr schnell ab, die grö-
ßere Hälfte der hieher gesandten Exemplare ist bereits vergriffen.“ (ebd., Bd. 1, S. 351); am
11.2.1843 ist die Rede von 20 Exemplaren, wiederum für Mailänder Interessenten: „Übrigens
hat Tendler hier im Nu 20 Exemplare abgesetzt, und noch viel mehr wurden verlangt, jedoch
von Leuten, denen er sie nicht zu geben für gerathen fand.“ (ebd., Bd. 1, S. 362); am 1.5.1843
erhält er die Nachricht, dass in Wien bereits 600 Exemplare abgesetzt wurden (ebd., Bd. 1,
S. 382).
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136 3. Die Zensur als Instrument der Repression: Die Ära Napoleons und der Vormärz (1792–1848)
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510