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Tricks der Buchhändler. Der Denunziant Gerolds wies die Polizei auf eine undich-
te Stelle in ihrem Kontrollsystem hin. Aus seinen Angaben ging hervor, dass
„zwei Leute aus der Gerold’schen Buchhandlung förmlich instruirt seyen, bei
Bücherabholungen aus dem Revisionsamte jederzeit verbotene Waare während
des Sortirens unter den Augen der Beamten bei Seite zu schaffen, wobey sich
besonders der Gerold’sche Hausknecht als routinirter Escamoteur erweisen soll,
so daß bei jeder Fracht aus dem Revisionsamte immer auch eine hübsche Quan-
titaet solcher Paschwaare mitgeht.“138
Wie man sich diesen Vorgang im Einzelnen vorzustellen hat, wird in Briefen
des Buchhandelsgehilfen Eduard Liegel an seinen Lehrherrn Josef Sigmund in
Klagenfurt erläutert. 1831 verbrachte Liegel ein Ausbildungsjahr in der Wiener
Buchhandlung von Mösles Witwe und hatte Gelegenheit, die Vorgänge im Wie-
ner Bücherrevisionsamt aus der Nähe zu studieren. Mösles Witwe war Sigmunds
Wiener Kommissionärin, die für ihn bestimmten Bücherpakete aus dem Aus-
land wurden allerdings nicht in Wien revidiert, sondern erst in der Provinz-
hauptstadt. Die Bücher wurden „vom Censuramtslokale aus uneröffnet unter
Beipackung der inländischen Artikel nach der Provinz spedirt“.139 Dieses umständ-
liche und dem Reglement eigentlich widersprechende Verfahren, das auf Über-
lastung des Wiener Amtes schließen lässt, ermöglichte den Zugriff der daran
beteiligten Buchhandlungsangestellten. Hilfreich waren dabei die räumlichen
Verhältnisse.
Das Revisionsamt ist ein ziemlich großer Saal, in dessen Mitte in einer Linie zwei
lange Tafeln stehen, die mehrere Schritte voneinander entfernt sind. Es dürfen nicht
mehr als zwei Buchhändler zu gleicher Zeit ihre Ballen öffnen. Ein Censurdiener sitzt
zwischen den beiden Tafeln oder schleicht herum, damit nichts gestohlen* werde. Ist
der Ballen geöffnet, so kommen alle Pakete auf die Tafel; man packt hier bequem aus,
conferirt, zeichnet und legt das Rohe, Broschirte und die Journale, jedes besonders,
in schöne Ordnung; was aber nicht unter die Augen des Revisors kommen soll, wird
nicht ausgepackt, sondern beiseite gelegt. Ist das alles geschehen, so nimmt der Haus-
knecht das Verbotene, packt es zu dem Pakete, das an Sie abgeht und näht es allso-
gleich ein (was der Vorschrift gemäß ist) und läßt es vom Amte versiegeln. […] Die
verbotenen Neuigkeiten oder nicht verbrauchten Fortsetzungen kommen in den gro-
ßen Schrank, der für die Möslesche Handlung bestimmt ist. Gerold, Schaumburg und
138 Allgemeines Verwaltungsarchiv, Akten der Polizeihofstelle, 5588/1843.
139 Die Censur vor siebzig Jahren. Aus den Briefen Eduard Liegel’s an seinen ehemaligen Lehr-
herrn Josef Sigmund in Klagenfurt. In: Österreichisch-ungarische Buchhändler-Correspon-
denz, Nr. 46 vom 14. November 1900, S. 618–619. An anderer Stelle bemerkt Liegel, dass in
früherer Zeit – er nennt das Jahr 1821 – auch die für die Provinzen bestimmten Bücher in Wien
revidiert wurden.
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138 3. Die Zensur als Instrument der Repression: Die Ära Napoleons und der Vormärz (1792–1848)
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510