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Dabey ließ es Wagner bleiben / gieng in seine Kammer / wehklagte und weinete
immerfort mit Zeter-Geschrey über sein begangnes Leben / verbrachte die Zeit / mit
Erzehlung der greulichen Sünden so er begangen / biß auff den andern Tag. Da hat-
te er einen Sarck bestellet / darein legte er sich / ließ den Johann de Luna und seinen
Knecht Clausen auff beyden Seiten sitzen / und befahl ihnen / sie sollten Gott anruf-
fen um Barmhertzigkeit seiner Seelen / auch singen / lesen / wie man Messen zu hal-
ten pfleget / denn er meynet / er wolte also den bösen Geist damit abschrecken / daß
er ihn nicht holen sollte / bat er derowegen fleißig sie wolten ja emsig das Gebet voll-
bringen. Und als die Stunde sich herzu nahete / kam der Geist wie ein grosser star-
cker brausender Wind / drehete den Sarck um und stieß die beyde Meßpfaffen auff
einmahl also / daß ihnen das Gehör und Gesicht vergieng. In dreyen Stunden aber
ungefehr hernach / kamen sie wieder zu ihnen selbst / und funden nichts in der Stu-
ben denn nur etliche Beinlein von Fingern und Fußzehen / auch die beyde Augen /
neben etlichen kleinen Stücklein Fleisch / und Gehirn / so an der Wand geklebt. Diß
thäten sie zusammen in ein Gefäß / da kam der Geist bald wieder und holete es her-
nach. Wo aber sein Leib hingekommen mit dem Sarck / ist leicht zuerachten. Also
bekam dieser Christoph Wagner seinen wohlverdienten begehrten Lohn.69
Die Horroreffekte deuten eher auf einen frühen Schauerroman hin als auf Erbau-
ungsliteratur. Van Swieten hatte als Zensurmotiv in einem Brief an Maria The-
resia den Schutz von „ames timorées“ (furchtsamen Gemütern) vor Büchern
„qui souvent sous des titres speciaux contiennent les plus grandes horreurs“
genannt (die unter ausgesuchten Titeln oft die schrecklichsten Schilderungen
enthalten).70
Die Übertragung des Teufelsvirus via Zirkulation der Faust- und Teufelsbü-
cher erfolgte über mehrere intertextuelle Stufen. Das Buch wird als Übersetzung
aus dem Spanischen präsentiert, ist angeblich mehr als 100
Jahre alt, es handelt
sich nicht um Fausts Geschichte, sondern um jene seines Famulus, der durch
ihn in diese Dinge eingeführt worden war. Der Famulus reicht seinen Geist an
seinen Gesellen weiter. Und auch Faust ist natürlich von anderen zu der Idee,
einen Teufelspakt zu schließen, angeregt worden. Es handelt sich also um einen
exemplarischen Fall von mehrfacher Übertragung oder Ansteckung mit dem
Laster der Zauberei bzw. Teufelsbeschwörung. Vor der österreichischen Leser-
schaft sollte die Kette der Übertragung aber unterbrochen werden. Überdies ist
die Geschichte des Famulus stark an das Faustbuch angelehnt. Zum Vergleich
sei nur die Szene der Auffindung von Fausts Leiche aus der ebenfalls verbotenen
Fassung von 1726 zitiert, die der Nachahmung an Drastik nur wenig nachsteht:
69 Ebd., S. 203–204.
70 Fournier: Gerhard van Swieten als Censor, S. 421.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
284 6. Fallstudien
Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Titel
- Die literarische Zensur in Österreich von 1751 bis 1848
- Autor
- Norbert Bachleitner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20502-9
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 532
- Schlagwörter
- Censorship, Austria, Habsburg monarchy, 18th and 19th century, Zensur, Österreich, Habsburgermonarchie, Geschichte, 18. und 19. Jahrhundert, Literatur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- VORBEMERKUNGEN 11
- 1. EINLEITUNG 15
- 2. IM DIENST DER AUFKLÄRUNG: DIE ZENSUR ZWISCHEN 1751 UND 1791 41
- 2.1. Die Vorgeschichte: Zensur in der Frühen Neuzeit 41
- 2.2. Die maria-theresianische Zensurkommission 49
- 2.3. Die josephinisch-leopoldinische Epoche 58
- 2.4. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1754–1791 73
- 2.4.1. Verbote 1754–1791 73
- 2.4.2. Verbote 1754–1780, gegliedert nach Sprachen 78
- 2.4.3. Meistverbotene Autoren 1754–1780 79
- 2.4.4. Verbote 1783–1791, gegliedert nach Sprachen 82
- 2.4.5. Meistverbotene Autoren 1783–1791 84
- 2.4.6. Verbote 1754–1791, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 85
- 2.4.7. Meistverbotene Verlage 1754–1791 87
- 2.4.8. Häufigste Verlagsorte 1754–1791 91
- 3. DIE ZENSUR ALS INSTRUMENT DER REPRESSION: DIE ÄRA NAPOLEONS UND DER VORMÄRZ (1792–1848) 93
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 3.1.1. Die Etablierung des polizeilichen Zensursystems 94
- 3.1.2. Die Zensoren 96
- 3.1.3. Die Aktion der Rezensurierung 1803–1805 101
- 3.1.4. Die Jahre der napoleonischen Besatzung und die Zensurvorschrift von 1810 105
- 3.1.5. Die Zensurgutachten: Beispiele aus den Jahren 1810/11 108
- 3.1.6. Die Bücherrevisionsämter 114
- 3.1.7. Die Staatskanzlei 121
- 3.2. Die Zensur im Vormärz (1821–1848) 124
- 3.3. Kommentierte Statistik der Verbotstätigkeit 1792–1848 146
- 3.3.1. Verbote und Zulassungen 1792–1820 148
- 3.3.2. Verbote 1792–1820, gegliedert nach Sprachen 151
- 3.3.3. Meistverbotene Autoren 1792–1820 153
- 3.3.4. Verbote und Zulassungen 1821–1848 157
- 3.3.5. Verbote 1821–1848, gegliedert nach Sprachen 163
- 3.3.6. Meistverbotene Autoren 1821–1848 166
- 3.3.7. Verbote 1792–1848, gegliedert nach Disziplinen bzw. Gattungen 169
- 3.3.8. Meistverbotene Verlage 1792–1848 171
- 3.3.9. Meistverbotene französische Verlage 1792–1848 186
- 3.3.10. Häufigste Verlagsorte 1792–1848 188
- 3.1. Zwischen Französischer Revolution und Studentenunruhen: Die Zensur von 1792 bis 1820 94
- 4. EIN BLICK IN DIE LÄNDER 193
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 4.1.1. Die böhmischen Zensurkommissionen und ihre Zusammensetzung 193
- 4.1.2. Das Nebeneinander der Zensurinstanzen 196
- 4.1.3. Die gescheiterte Zentralisierung (1781–1791) 200
- 4.1.4. Die langsame Professionalisierung und Zentralisierung des Zensurapparats unter Franz II./I 203
- 4.1.5. Prag und Wien im Spannungsfeld der Kompetenzstreitigkeiten 206
- 4.1.6. Die Struktur der Zensur in Böhmen seit 1810 208
- 4.1.7. Unter der Lupe – Analyse der Gutachten 211
- 4.1.8. Probleme der Zensur in den Provinzen – der Fall Böhmen 214
- 4.2. Daniel Syrovy: Die italienischsprachigen Gebiete der Habsburgermonarchie (1768–1848) 216
- 4.1. Petr Píša/Michael Wögerbauer: Das Königreich Böhmen (1750–1848) 193
- 5. DIE THEATERZENSUR 239
- 6. FALLSTUDIEN 259
- 6.1. Periodika 259
- 6.2. Chroniques scandaleuses 269
- 6.3. Die Motive ,Teufel‘ und ,Selbstmord‘ in der verbotenen Literatur 281
- 6.4. Die deutsche Klassik 296
- 6.5. Die Romantiker 321
- 6.6. Historische Romane am Beispiel von Walter Scott 336
- 6.7. Französische und anglo-amerikanische Romanliteratur der 1840er Jahre 347
- 6.8. Geschichtsepik 359
- 6.9. Französische Theaterstücke aus dem Zeitraum 1830–1848 374
- 6.10. Englische Theaterstücke 389
- 7. AUSBLICK 407
- ANHANG 411
- 1. Zensurprotokolle 411
- 2. Verordnungen, Zensur-Richtlinien, Berichte 416
- Mandat betreffend „Sectischer Bücher-Verbott“, ausgegeben von Erzherzog Ferdinand I. von Österreich am 12.3.1523 416
- „Kurze Nachricht von Einrichtung der hiesigen Hofbüchercommission“ vom Februar 1762 418
- Pro Memoria des Professoris Sonnenfels Die Einrichtung der Theatral Censur bet[treffend] [Resolution von Joseph II., vom 15. März 1770] 419
- Gerard van Swieten: Quelques remarques sur la censure des livres (14. Februar 1772) 421
- Zensurverordnung Josephs II., ausgegeben am 1. Juni 1781 427
- Hofdekret vom 20., kundgemacht in Mähren den 28., in Innerösterreich den 30. Jäner, in Gallizien den 3. Februar 1790 431
- Denkschrift Franz Karl Hägelins, gedacht als Leitfaden für die Theaterzensur in Ungarn (1795) 438
- Zensur-Vorschrift vom 12. September 1803. Anleitung für Zensoren nach den bestehenden Verordnungen 462
- Instruktion für die Theaterkommissäre in den Vorstädten von Wien, 5. Dezember 1803 470
- Vorschrift für die Leitung des Censurwesens und für das Benehmen der Censoren, in Folge a. h. Entschließung vom 14. September 1810 erlaßen 474
- ABBILDUNGSVERZEICHNIS 479
- BIBLIOGRAPHIE 480
- REGISTER 510