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in österreichischen Konferenzzimmern intensiv geführt und es gibt wahrschein-
lich kaum jemanden, der sich dazu noch keine Meinung gebildet hat. In der
Lehrerschaft
– so war unser Eindruck
– reicht die Spanne von begeisterten An-
hängern bis hin zu deklarierten Gegnern. Von der Bildungspolitik und den Di-
daktiken wird Kompetenzorientierung mit Nachdruck eingefordert: Ein „guter“
Lehrer hat kompetenzorientiert zu unterrichten. Das schon oft beschriebene
Phänomen der „sozial erwünschten“ Antworten hat bei der Selbstauskunft zum
eigenen Verhalten im Unterricht das Potenzial, die Ergebnisse im Zusammen-
hang mit diesem normativ aufgeladenen Thema zu verzerren. In Fragebogenstu-
dien kann davon ausgegangen werden, dass Lehrende ihre Selbsteinschätzung
auch in diesem Zusammenhang im Sinne der sozialen Wünschbarkeit ein wenig
optimieren.339 Bodo von Borries hat dies auch erkannt und daher in seiner gro-
ßen Schulbuchstudie im Jahr 2003 komplementär zum Lehrerfragebogen auch
einen Schülerfragebogen benutzt, um damit ein Korrektiv zur Lehrerperspekti-
ve zu haben.340 Ob Schüler/innen hier einen Beitrag zu mehr Genauigkeiten
leisten können und die Ergebnisse durch eine quantitative Within-Method-Tri-
angulation präziser werden, soll hier nicht beurteilt werden. Wir sind jedenfalls
für das CAOHT/EBAHT-Projekt zu dem Schluss gelangt, dass Überzeugun-
gen von Lehrenden in Bezug auf Kompetenzorientierung nicht allein durch
Selbsteinschätzung über Lehrerfragebogen und Fremdeinschätzung durch
Schülerfragebogen messbar gemacht werden können, sondern dass es auch qua-
litativer Befragungen bedarf.
In Bezug auf diese Argumentation könnte nun eingewendet werden: Wenn
bei quantitativen Verfahren soziale Erwünschtheit die Ergebnisse verzerren
kann, wie viel mehr dann bei qualitativen Erhebungen, wenn dem Lehrenden
während eines Interviews ein Forscher einer Hochschule gegenübersitzt oder im
Unterricht hospitiert und protokolliert. Man könnte die berechtigte Frage stel-
len, ob die Lehrperson nicht speziell für den Forscher eine ganz besondere Stun-
de vorbereiten wird, die nichts mit dem alltäglichen Unterricht zu tun hat. Wieso
sollten Lehrende im Interview ihre Relevanzsetzungen in Bezug auf Kompe-
tenzorientierung offenlegen, auch wenn sie nicht den aktuellen explizit ausge-
sprochenen und implizit bewussten normativen Richtlinien entspricht? Diese
339 Für soziale Erwünschtheit innerhalb quantitativer Settings vgl. Porst 2014, S. 30.
340 Vgl. Borries, Bodo von (2005): Schulbuchverständnis, Richtlinienbenutzung und Refle-
xionsprozesse im Geschichtsunterricht. Eine qualitativ-quantitative Schüler- und Lehrer-
befragung im deutschsprachigen Bildungswesen. Neuried: ars una.
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Buch Von PISA nach Wien - Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis"
Von PISA nach Wien
Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
Empirische Befunde aus qualitativen Interviews mit Lehrkräften
- Titel
- Von PISA nach Wien
- Untertitel
- Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
- Autor
- Roland Bernhard
- Verlag
- WOCHENSCHAU Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7344-1234-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 284
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- 1. Einleitung 9
- 2. Theoretischer Rahmen und Forschungsfragen 15
- 2.1 Historisches Denken im Geschichtsunterricht – normative Aspekteund die Lehrplanreform hin zu Kompetenzorientierung 2008 15
- 2.2 Berufsbezogene Überzeugungen 26
- 2.3 Forschungsfragen 36
- 2.4 Literaturübersicht 38
- 2.4.1 Kategorien der Literaturübersicht 38
- 2.4.2 Forschung zu epistemologischen und kontextbezogenenÜberzeugungen von Geschichtslehrpersonen 40
- 2.4.3 Diskussion der Literaturübersicht 71
- 3. Forschungsdesign und Methode 77
- 4. Ergebnisse 113
- 6. Fazit 215
- 7. Literaturverzeichnis 233
- 8. Abbildungsverzeichnis 253
- 9. Tabellenverzeichnis 254
- 10. Abkürzungsverzeichnis 255
- 11. Personenverzeichnis 256
- Anhang 1: Fragebogen für Geschichtslehr personen,der anhand der qualitativen Studie konstruiert wurde 260
- Anhang 2: Anhang Anschreiben an Schulen und Lehrpersonen 277