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historische Kompetenzorientierung mit „Schülerorientierung“ bzw. dem „Selbst-
ständig-arbeiten-lassen“ gleichzusetzen ist – eine Position, die unter den inter-
viewten Lehrpersonen vorhanden ist. Es sollte vielmehr klar hervorgehoben
werden, dass Kompetenzorientierung im Geschichtsunterricht nicht in erster
Linie durch den Gegensatz von „cognitive construction“ vs. „knowledge trans-
mis sion“462 bestimmt ist. „Cognitive construction“ bzw. das, was in der Literatur
oft unter konstruktivistischem Lehr-Lern-Konzept verstanden wird463, ist fĂĽr
sich genommen noch keine Kompetenzorientierung, sondern kann höchstens ei-
nen kompetenzorientierten Geschichtsunterricht begĂĽnstigen. Dies allerdings
nur dann, wenn dabei die eigenständige Bearbeitung von Quellen und Darstel-
lungen im Mittelpunkt steht bzw. wenn diese Arbeit von elaborierten Ăśberzeu-
gungen zu Geschichte geprägt ist. Etwas salopper formuliert: Es soll ganz klar
werden, dass das Ausfüllen eines Lückentextes oder das selbstständige Ausarbei-
ten von Wissen aus dem Schulbuch (beides ist in den Daten als mit Kompetenz-
orientierung in Verbindung stehend anzutreffen) nicht zwangsläufig historisches
Denken darstellt.
Es hat sich ebenso gezeigt, dass für viele Lehrpersonen der Begriff „Kompe-
tenz“ inzwischen sehr negativ konnotiert ist (I-A18_f: „das ist das Unwort des
Jahres“). Eine zumindest denkbare (wenn auch wahrscheinlich kaum realisierba-
re) Variante wäre es, die Konzepte Kompetenz und historisches Denken wieder
zu entkoppeln und in der Geschichtsdidaktik auf den ausgehend von nicht fach-
spezifischen Diskursen hochgradig aufgeladenen Begriff „Kompetenz“ zu ver-
zichten. Um die negativen Konnotationen, welche mit dem Begriff „Kompetenz“
einhergehen, nicht auf das historische Denken abfärben zu lassen, könnte man auf
den Begriff des historischen Denkens ausweichen und diesen stärker im Diskurs
verankern. Dass keine einzige der interviewten Lehrpersonen den Begriff „histo-
risches Denken“ in den Interviews gebrauchte, zeigt, dass im Zusammenhang mit
dem Verständnis von Kompetenzen als historisches Denken sehr viel Verbesse-
rungspotenzial vorhanden ist. Aufgrund des nun vollzogenen Paradigmenwech-
sels hin zu Kompetenzen im Schulsystem wird die Entkoppelung der Begriffe
wohl kaum in absehbarer Zeit möglich werden und macht aus derzei
tiger Sicht
auch keinen SinnÂ
– dennoch sollte der Gedanke hier aufgeworfen werden.
Ganz wichtig erscheint mir, dass man die Verantwortung für die „Kompetenz-
konfusion“ nicht bei „den Lehrern“ sucht, wie dies bisweilen in der Geschichtsdi-
daktik vorkommt (ich habe in diesem Zusammenhang massive Schimpftiraden
462 Schlichter 2012, S. 17.
463 Vgl. Fenn 2013.
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Buch Von PISA nach Wien - Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis"
Von PISA nach Wien
Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
Empirische Befunde aus qualitativen Interviews mit Lehrkräften
- Titel
- Von PISA nach Wien
- Untertitel
- Historische und politische Kompetenzen in der Unterrichtspraxis
- Autor
- Roland Bernhard
- Verlag
- WOCHENSCHAU Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7344-1234-9
- Abmessungen
- 14.8 x 21.0 cm
- Seiten
- 284
- Kategorie
- LehrbĂĽcher
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- 1. Einleitung 9
- 2. Theoretischer Rahmen und Forschungsfragen 15
- 2.1 Historisches Denken im Geschichtsunterricht – normative Aspekteund die Lehrplanreform hin zu Kompetenzorientierung 2008 15
- 2.2 Berufsbezogene Ăśberzeugungen 26
- 2.3 Forschungsfragen 36
- 2.4 LiteraturĂĽbersicht 38
- 2.4.1 Kategorien der LiteraturĂĽbersicht 38
- 2.4.2 Forschung zu epistemologischen und kontextbezogenenĂśberzeugungen von Geschichtslehrpersonen 40
- 2.4.3 Diskussion der LiteraturĂĽbersicht 71
- 3. Forschungsdesign und Methode 77
- 4. Ergebnisse 113
- 6. Fazit 215
- 7. Literaturverzeichnis 233
- 8. Abbildungsverzeichnis 253
- 9. Tabellenverzeichnis 254
- 10. AbkĂĽrzungsverzeichnis 255
- 11. Personenverzeichnis 256
- Anhang 1: Fragebogen fĂĽr Geschichtslehr personen,der anhand der qualitativen Studie konstruiert wurde 260
- Anhang 2: Anhang Anschreiben an Schulen und Lehrpersonen 277