Seite - 53 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

53 Jänner 1872 10 15 20 25 30 35 40 45 50 der Sammlung für Beethovens spätere Clavierwerke gethan hat, an deren Schwie- rigkeiten so mancher scheiterte welcher mit allem möglichen guten Willen an sie herantrat. Aus dem was nach und nach über Beethoven geschrieben worden (wie über Goethe), könnte man jetzt schon eine kleine Bibliothek zusammenstellen. Aber von alle dem könnten wir ganze Schränke voll Beethovencommentare getrost für Bülows Arbeit hingeben, welche durchaus zu dem allerwerthvollsten gehört was wir über Beethoven besitzen, ja, von welcher wir kühn behaupten können daß, auf dem Gebiete auf dem sie sich bewegt, keine andere ähnliche Arbeit über Beet- hovens Clavierwerke neben ihr auch nur annähernd genannt werden kann. Wir haben Editionen mit Metronomisirung (Moscheles, Czerny), andere mit Angaben des Fingersatzes, A.  B. Marx hat ein ganzes Buch „über den Vortrag Beet- hoven’scher Clavierwerke“ geschrieben. So viel verdienstliches hier ohne Zweifel zu finden, so an der Wurzel, so aus dem eigensten Wesen Beethoven’scher Kunst und Art heraus ist die Sache noch nie behandelt worden wie dießmal. Wer nicht die geistige Kraft, das Talent, das Verständniß hat um dem Fluge Beethovens fol- gen zu können, dem werden allerdings alle Commentare, Metronom- und Finger- satzangaben in der ganzen Welt nicht helfen; vermag er aber die hohe Sprache Beethoven’scher Musik zu verstehen, so wird er an Bülows Hand nicht nur zu fol- gen vermögen, sondern es werden sich ihm auch, selbst wo es sich nur um rein technisches handelt, um eine besondere von der gewöhnlichen abweichende Fin- gersetzung, die Accentuirung eines Accordes, einer Phrase, die Ausführungsart irgendeiner Tonarabeske, die Bewältigung eines schwierigen Trillers u. s. w., oft geistige Tiefen erschließen über die er erstaunt. Mit der Möglichkeit einer ganz vollkommenen Beherrschung der technischen Schwierigkeiten ist ihm zugleich die Formel geboten mit welcher er den Geistern rufen kann die in diesen Tongebilden wohnen, und sonst sich nicht immer bereitwillig zeigen einem jeden Rufe zu fol- gen. Als ganz besonderes Verdienst müssen wir es auch Bülow noch eigens anrech- nen daß er, der phantasievolle Künstler, in welchem Beethoven’sche Musik sicher ganze Bilderwelten weckt, oder wenigstens Empfindungen, zu deren Verdeutli- chung durch das gesprochene oder geschriebene Wort kaum etwas anderes er- übrigt als nach Bildern und Gleichnissen zu greifen, mit der Anwendung dieses Mittels äußerst sparsam ist; wo er es doch anwendet, es nur wie beiher, wie ein gelegentlich zur Verdeutlichung hingeworfenes Wort auftritt, und auch dann ganz kurz, ohne behagliches Ausmalen oder poetisirende Ausführung. Mit einer sol- chen kurzen Bemerkung trifft aber dann Bülow freilich auch den Kernpunkt der Sache. Wenn er an einer Stelle des humoristisch-tollen Rondo „die Wuth über den verlorenen Groschen“ erklärt: „er sehe dabei ordentlich Beethoven hastig auf dem Schreibtisch kramen, und die Papiere fliegen unter denen nach dem verlorenen Gegenstande gesucht wird“ – wenn er bei einer andern Stelle auf die „koboldhafte Geschäftigkeit“ hinweist, wenn er bei einer der Variationen über den Walzer Diabelli’s dem Spieler die Bemerkung macht: „er möge sich im Geiste etwa unter die hohen Wölbungen eines gothischen Domes versetzen,“ so ist das alles treffend – aber auch höchst bescheiden im Vergleich zu andern Interpreten, auf welche Bilder, Gesichte, Gestalten und Fratzen von allen Seiten eindringen, wie auf Teniers’schen und Breughel’schen Bildern der Dämonenspuk auf den heiligen