Seite - 71 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

71 Februar 1872 120 125 130 135 140 145 150 155 160 Stoffe, welche die Künstler bisher verwertheten, wo sie ihre Ideale suchten, sollen hier ad absurdum geführt werden; es ist uns, als lächle uns Mephisto in der elegan- ten Maske eines „modernen Menschen“ höhnisch an und frage uns: ob denn der ganze Plunder von Antike und Romantik etwas werth sei. Dante’s „Divina comme- dia“ hat Offenbach einstweilen noch nicht parodirt, wer weiß aber, was noch ge- schieht. Was bleibt denn dann übrig, wenn in solcher Art tabula rasa gemacht wird? In letzter Instanz: der jubilirende Cancan, der zu dem Himmel, zu dem Andere die Arme verehrend erheben, die Beine jauchzend emporwirft, – oder es bleibt als letztes „Positives“ „La vie parisienne“ übrig, welche ja Offenbach auch componirt hat, gleichsam ein zweiter Marc Aurel, der ein Buch „über sich selber“ schrieb. Durch jenes zerstörende, Alles, was früheren Zeiten werth war, spöttisch negi- rende Wesen sind diese Possen ein echtes Zeichen unserer Zeit und so werden am Ende die Possen zu bitterem Ernst. Soll die Parodie nicht geradehin das parodirte Vorbild vernichten, so muß sie bei allem scheinbaren Uebermuth entweder einen wirklich doch sittlichen Kern bringen, wie bei Aristophanes, oder sie muß, so grundgutmüthig sein wie die ehemaligen Wiener Parodien des Leopoldstädter Theaters ancien régime, um 1805 bis etwa 1825. Wir können über den gefräßigen Herakles in den „Vögeln“ lachen und dann doch mit Staunen vor dem farnesischen Marmorbilde stehen, wir konnten uns in der parodirten „Dida“ ergötzen, wenn sich Aeneas nebst Gefolge mit den Worten introducirte: „Die Abbrandler von Troja gehen herum und bitten um ein Viaticum“ und wir konnten dann doch Virgil in ernster Stimmung lesen; ob wir aber nach der „schönen Helena“ die homerischen Helden trotz aller „Aristeien“ ohne Lachen ansehen können, ist eine Frage. Wird vollends der „sittliche Kern“ zu dessen Gegentheil, wie eben in der Helena, dann hört der Scherz auf, und wir haben trotz „ausverkaufter Häuser“ und „Beifallsjubels“ nur noch ein kurz verwerfendes Wort zu sprechen! „Fantasio“ scheint einen Wendepunkt zu bezeichnen, den wir mit Antheil und nicht ohne Freude begrüßen. Ueber das Textbuch ist allerdings nicht viel Gutes zu sagen, sobald wir einen einigermaßen strengeren Maßstab daran legen. Ein Stu- dent, der sich in die Prinzessin-Tochter des Landesfürsten verliebt, sich als Hofnarr introducirt, in dieser keineswegs empfehlenden Maske die Liebe der Dame ge- winnt, den Bräutigam dadurch aus dem Felde schlägt, daß er ihm (oder vielmehr seinem ihn repräsentirenden Adjutanten, während der Herr den Adjutanten spielt – siehe: „Aschenbrödel“) in voller Versammlung des Hofes die Perrücke vom Kahl- kopfe escamotirt, der dann den Krieg, welcher wegen der Perrückengeschichte aus- brechen soll (!), durch gewandte Vermittlung verhütet, sofort vom Papa- Herzog zum Fürsten ernannt und mit der Hand der Prinzessin belohnt wird, – eine solche Erfindung geht doch ins Unerlaubte! Dazu hat die Anlage des Ganzen schleppende Scenen, der Dialog viel leeres Füll- und Flickwerk, kraft dessen die Posse so lange Stunden spielt wie etwa eine heroische Oper oder eine Tragödie hohen Styls. Das Buch wirkt zumeist darum so eigen antipathisch, weil es scenenlang den Ton anschlägt, ein ordentliches, die Situationen wohl motivirendes Lustspiel vorzustellen, und plötzlich wieder zur ganz willkürlich schaltenden Narrensposse umschlägt; „Narr“ – das ist gleichsam der Grundton des Ganzen, neben dem offi-