Seite - 72 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

72 Februar 1872 165 170 175 180 185 190 195 200 205 ciellen Narren in Schellentracht stehen der Prinz und der Adjutant als nicht offi- cielle Narren und wenn zuletzt, zu gründlichster Durchführung des Thema’s, der ganze Chor in Narrentracht und triumphirendem Aufzuge die Bühne betritt, so besinnen wir anderen im Publicum uns, ob wir nicht etwa gar als „auswärtige Mitglieder“ auch zu der ehrenwerthen Körperschaft gehören. Offenbach ist beim Componiren dieses Buches mit mehr Liebe und Sorgfalt ans Werk gegangen als je früher. Er wollte uns zeigen, daß er der Mann dazu sei, eine komische Oper höherer Art zu schreiben. Wir begegnen zwischen äußerst gelungenen komischen Stücken, wie das Duett im ersten Act zwischen dem Prin- zen und Adjutanten oder das ganz vortreffliche Ensemble im zweiten Finale: „Herr Adjutant, so schweigt doch still“ – sentimentalen, zart empfundenen, ja leiden- schaftlichen und sogar dramatisch gefärbten Momenten, – sorgsam gearbeiteten, fein instrumentirten Sätzen u. s. w. Der Schluß des ersten Actes mit den singenden, durch die Mondnacht ziehenden Studenten ist sogar von poetischer Wirkung, Fantasio’s Walzerständchen reizend und anmuthig, die Couplets des Prinzen über den Satz, „daß Kleider nicht Leute machen“, so ganz ausgezeichnet, daß kein Mensch und Meister der Welt es hätte besser machen können. Zu Anfang des zweiten Actes begegnen wir plötzlich und zu unserem Erstaunen der berühmten Coloraturprinzessin Meyerbeers, aber aus dem Meyerbeer’schen in das Offen- bach’sche übersetzt; derselbe Act hat ein höchst stattliches Finale, dessen Anfang die einzelnen einziehenden Gruppen glücklich charakterisirt und in dem folgen- den, schon erwähnten Ensemble den Gipfel musikalischer Komik erreicht. Die eigentliche Schlußstretta ist dann freilich mehr äußerlicher Glanz, eine Entmeyer- beerung und Veroffenbachung jenes modernen großen Finalstyls, wo alle Personæ dramatis mit gehobenen Armen wie eine Reihe von Ypsilon (Y) und weit geöffne- ten Mundes neben dem Souffleurkasten stehen und aus Leibeskräften schreien. Es giebt Leute, welche dergleichen „großartig“ finden. Offenbach zählt bei seinen Partituren auf das, worauf eigentlich jeder Compo- nist zählen muß, auf vortreffliche Ausführende, und er hat das Glück sie zu finden. Für seinen Fantasio dürfte er kaum eine brillantere Darstellerin finden als Frl. Geistinger, für den Prinzen von Mantua keinen besseren Darsteller als Herrn A.  Swoboda, dem wir übrigens gratuliren, daß er kein Athenienser ist. Warum? Weil im alten Athen man so wenig Spaß über gewisse Dinge verstand, daß z. B. ein Couplet, wie es Herr Swoboda dem Couplet über Schlössers Venus unmittelbar folgen ließ, ihn unausbleiblich zum Schicksalsgenossen des weisen Sokrates ge- macht hätte, wenn er der Autor der bezüglichen Verse gewesen wäre. Wir haben heutzutage für dergleichen nicht mehr den Schierlingbecher, aber es will uns, ge- linde gesagt, höchst unpassend scheinen, über ein großes, allgemeines, kaum ver- schmerztes Unglück eine Posse zu reißen. Das Publicum jubelte indessen auch nach diesem Couplet und so haben wir denn nichts weiter zu sagen. Wenden wir uns von dieser aus vollem Halse lachenden Musik zu ernsterer und höherer. Müssen sich doch die Heroen deutscher Tonkunst auf dem bekann- ten Bilde (einer der zahllosen Nachahmungen von Kaulbachs „Reformation“) ge- fallen lassen, mit Offenbach auf demselben Blatte zu figuriren, der obendrein im Vordergrunde steht, während weit, weit hinten Johann Sebastian Bach die Musik