Seite - 86 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

86 März 1872 175 180 185 190 195 200 205 210 215 figuration eines Viola-Solo (bei der Aufführung von den Herren Hellmesberger und Grün unisono gespielt) äußerst schön und rührend – ob auch ganz kirchlich? – begleitet. Dieser Satz hat etwas Modernes. Das Offertorium mit dem fugirten „Quam olim Abrahae promisisti“ – sonderbar, daß so ziemlich alle Componisten in diesem Satze Gott den Herrn mit Gläubigerungestüm mahnen! – überblicken wir rasch; es führt uns zu dem wunderschönen Quartett „Hostias et preces“. In dieses Stück leuchtet der erste Strahl des Himmels – hier ziehen uns schon Frühlings lüfte aus dem Reiche der Seligen entgegen. Der Componist hebt sich immer höher – das Sanctus ist ein Satz von so überirdischer Verklärung, daß wir Palestrina zu hören glaubten, wäre nicht die Tonalität modern. Auch der Tonsatz (achtstimmig) ist hier von ganz meisterhafter Fügung. Herrlich ist dabei die Steigerung, der drei- malige mächtige Accord der Posaunen vor den Worten „Dominus Deus“. Das kurze Jubelthema des Pleni ist glücklich erfunden, sehr wirksam seine echoartige Wiederholung durch einzelne Solostimmen. Ob die Imitationskette der beiden Stimmpaare mit den parallelen Sexten und Terzen archaisch ist oder nicht, wird uns sehr wenig kümmern, das Sätzchen wirkt an seiner Stelle ganz vortrefflich und damit können wir uns vorläufig begnügen. Im Benedictus, abermals einem wahren Strom von Wohllaut und von edelster Innigkeit des Ausdruckes, weckt der Componist nach jenem kurzen Jubelruf wieder ganz leise den Klang des Wehes (zuerst in dem fes der Begleitung zum as des Solosoprans oder eigentlich in dem Doppelvorhalt dieser beiden Noten). An Stelle des Solo-Alts tritt hier ein zweiter Sopran. Die melismatischen Figurationen, mit denen der erste Sopran im Verlaufe des Satzes das im zweiten Sopran auftauchende Hauptthema umspielt, sind von ganz wundersamem Reiz – das Bild von Weinranken, die eine Ulme umschlingen, könnte sich unwillkürlich aufdrängen. Im Agnus verdüstert sich der Ton. Der Solo-Tenor beginnt; die simple Achtelbewegung in der Begleitung mit der nach- schlagenden Pauke hat etwas Unheimliches – sie geht fort, auch als der Tenor seine Phrase beendet hat und der Solo-Alt eintritt, aber jetzt beginnt eine Oboe in kur- zen, äußerst ausdrucksvollen Phrasen ihre bittersüßen Klänge mit der sonoren, tiefen Frauenstimme überaus zart zu mischen und zu verschmelzen. Der Chor greift ein – ein reiches Tongemälde baut sich auf. Wie die Worte des Ritualtextes kehren die ersten Weisen wieder, – hochfeierlich in jenem echt priesterlichen Klang, wie ihn seit Mozarts „Zauberflöte“ so leicht nicht jemand getroffen, tönt das Solo der Posaunen im Vorspiel des letzten Lux aeterna, – Chor und Solo (als Quartett) alterniren jetzt im Wechselgebete, bis das Werk in mildester Beschwich- tigung ausklingt. Was bei diesem Werke – gerade wie bei dem Mozart’schen – so bewundernswerth erscheint, ist, daß es in gleich hohem Maße gottesdienstlich- rituell und menschlich rührend und tröstend gehalten ist, der schöne Vers Goethe’s vom „Götterwerth der Töne und der Thränen“ kann uns dabei in Erinnerung kommen. Es wird auch wohl über die Stellung und Bedeutung dieses Werkes in der musikalischen Litteratur in kurzer Zeit kein Zweifel mehr sein können. Dem ernst gestimmten Publicum der Lachner’schen Todtenmesse können wir diesmal eines in gehobenster, festlicher Stimmung entgegenstellen, das Publicum, welches am 7.  d.  M. die prachtvollen Räume des k. k. Hofoperntheaters füllte. Vor fünfzig Jahren leitete C.  M. von Weber an diesem Tage in dem damaligen