Seite - 106 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

106 März 1872 70 75 80 85 90 95 100 105 110 Worauf der Schöpfer antwortet: „So lebe denn, du Bild nach meinem Willen“, während in Rubinsteins Text Adam die bündige Auskunft erhält: „Du bist der Mensch, der Herrscher dieser Erde.“ Im Tiroler Bauernspiel hält der Schöpfer dem geformten Erdenkloß ein Riechfläschchen unter die Nase, Adam schlägt die Augen auf und niest; „Helf Gott, Adam!“ ruft der Schöpfer. Das ist zwar nicht vernünf- tiger, aber wenigstens ergötzlicher. Was soll man endlich zu dem Schlusse sagen? Das vertriebene Menschenpaar bekommt den Trost mit: „nur genommen, nicht verronnen, ist des Paradieses Glück und durch Tugend neu gewonnen, kehrt es einst euch neu zurück, Tugendkraft neu euch schafft himmlisches Los, Tugend- muth, Glaubensglut, macht neu euch groß“. Ueber die hohe Schönheit dieser vor- trefflichen Verse werden wir alle einig sein. Wenn nun aber ein Werk sich als „geistlich“ giebt, die ganze Schöpfungsgeschichte, die Geschichte des Sündenfalls u. s. w. genau nach dem Buche Genesis giebt, so durfte zuletzt die auch im Buche Genesis gegebene, mystisch-grandiose Hinweisung auf den künftigen Erlöser nicht fehlen – das hat sogar der kaiserliche Poet Richter recht gut empfunden. Die biblischen Worte: „sie wird dir den Kopf zertreten und du wirst sie in die Ferse stechen“ hätten sich am Ende besser ausgenommen als der „Tugendmuth“ und die „Glaubensglut“. Mit Miltons Gedicht hat das Textbüchlein eigentlich so gut wie gar nichts gemein als im allgemeinsten den Stoff. Wir leben endlich auch nicht mehr in der Zeit Bodmers und Klopstocks, die und deren Anhänger fest überzeugt waren, der englische Poet stehe hoch über Homer und Dante, die Gottschedianer mochten noch so sehr über die „sehraffische“ Dichtkunst spotten. Es ist aber für ein Epos, geschweige denn für ein Drama, immer eine sehr bedenkliche Sache, wenn man es darin mit menschlichen Wesen nicht oder kaum zu thun hat, wohl aber mit lauter Cherubim und Seraphim, mit dem Teufel und dessen Großmutter oder (wie in Wagner’s „Rheingold“) mit lauter Göttern, Riesen, Nixen, Zwergen. Milton hilft sich, wie er kann, er läßt seine Dämonen nach Bedürfniß zur Amei- senkleinheit zusammenschrumpfen oder sich zur Riesengröße ausdehnen, er läßt sie den Engeln Schlachten liefern – bekanntlich sogar mit Kanonen – und mehr Aehnliches. Das alles war für den Textdichter allerdings nicht brauchbar und so blieben denn am Ende nur physiognomielose Gestalten oder Namen übrig: „Raphael, Michael, Gabriel“, eine „Stimme“, hinter deren bescheidenem Incognito sich niemand geringerer verbirgt als Gott der Herr selbst – und so weiter. Man wende nicht Haydns „Schöpfung“ ein, deren Text übrigens auch nichts weniger als musterhaft ist. Bei Haydn bedeuten die Namen Gabriel, Uriel, Raphael nicht mehr, als die Ueberschriften Soprano solo, Tenore solo, Basso solo bedeutet haben würden. Ob der Solosopran oder der Solotenor versificirte Meditationen über das dem Auge erquickliche Grün des Grases und den Nutzen der Arzneipflanzen an- stellt, ist so ziemlich alles eins – anders aber, wo uns, wie im „verlorenen Paradies“, zugemuthet wird, in den Trägern der Namen auch Träger einer Handlung, Perso- nen eines Drama’s zu erblicken. Genug – Rubinstein fand den Text für seine künstlerischen Zwecke genügend und componirte ihn. Da bleibt uns anderen nichts mehr übrig, als zuzusehen, wie er ihn componirt hat. Man hat oft das Aehnliche der Kopf- und Gesichtsbildung Rubinsteins mit Beethoven hervorgehoben und unsere Lithographen thun das Ihrige, um uns da-