Seite - 134 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

134 April 1872 150 155 160 165 170 175 180 185 die Mater gloriosa, ihre wenigen Worte in sonorem Alt singen zu lassen, ist ein Geniezug – die Wirkung ist bei diesem einfachsten Mittel eine bis zum Groß- artigen ernste. Bei der Wiederholung der Worte „gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen“ und im letzten chorus mysticus findet der Musiker Schu- mann Raum sich auszubreiten, – was er hier geleistet hat, wird ihm zum ewigen Ruhm gereichen. Brendel findet in dieser Scene den Keim künftiger Kirchenmu- sik. Wir haben aber so viel unvergleichliche, mit größtem Unrecht vergessene Kirchenmusik, daß es uns auch für die Zukunft genügen wird, diese letztere aus dem Staube herauszusuchen – wobei wir denn, um Schumanns Werk in seinem vollen Werthe zu würdigen, nicht erst das ungewisse Gut des Zukunfts-Kirchen- styls brauchen, den wir den Leuten überlassen wollen, die vom Zukunftsweibe, der Zukunftsreligion, Zukunftsmusik, vielleicht auch Zukunfts-Kochkunst träumen. Von der Aufführung des Schumann’schen Werkes sei nur bemerkt, daß sie, unter Rubinsteins Leitung, eine treffliche war. Frau Marie Wilt, als Gretchen (auch sonst in einzelnen Soli), Herr Dr. Krückl als Faust, Herr Dr. Kraus als Mephisto, Herr Pirk als Ariel wirkten mit Lust und Liebe mit; in den kleineren Partien verdienen die Damen Karoline Stengl [sic], Pauline Pohan, Maria Enner, Antonie Wolf und Anna Pokorny und die Herren Rudolf Schelle, Alois Walter und Ferdinand Maas alles Lob. Chöre und Orchester (Gesellschaftsorchester, an der Spitze der Violinen der k. k. Concertmeister Herr Joseph Hellmesberger) dürfen dieses Lob in vollem Maße theilen. Sehr gut war die Disposition, den „Chor seliger Knaben“ mit Sing- knaben zu besetzen, deren im Vergleiche zu den Frauensopranen und Altos härte- re, gleichsam krystallische Stimmen diesen Gesängen einen eigenen, charakteristi- schen Ausdruck geben. Interessant endlich war es zu beobachten, wo und wie das Publicum applaudirte. In den ersten beiden Abtheilungen spendete es seinen Bei- fall, wie Cordelia ihren Vater liebt „so weit es Pflicht ist“, aber bei der dritten Ab- theilung wurde im Geiste und in der Wahrheit applaudirt und die Zustimmung war enthusiastisch. Die Gesellschaftsconcerte konnten also nicht günstiger und glücklicher schließen als mit dem dritten Theil der Schumann’schen Faust-Musik. Daß man uns in den früheren Concerten auch eben nur ganz moderne Oratorien- musik brachte, ist nicht zu tadeln, denn das Moderne hat seine volle Berechtigung; bei einem künftigen Concertcyklus wird es aber vielleicht eine kluge Taktik sein, einmal irgendein älteres Werk einzuschalten (nur um Himmels willen nicht die „Schöpfung“ oder die „Jahreszeiten“, von denen wir mit Leporello sagen können „questo io conosco pur troppo“); gelegentlich wäre uns – man kann bei Händel nicht sagen „zopfig“, wohl aber „allongeperrückenhaft“ – wäre uns, sage ich, allenfalls das allongeperrückenhafteste Oratorium Händels zur Abwechslung recht von Herzen willkommen. A.  W. Ambros. Rezensierte Veranstaltung Drittes außerordentliches Konzert der GdM, 14. April 1872, MVgr.