Seite - 156 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

156 April 1872 55 60 65 70 75 80 85 90 95 daß die ersten Takte des ganz kurzen instrumentalen Vorspieles der Oper uns in überraschender Schönheit entgegentreten, ganz träumerisch-phantastisches Mähr- chen aus dem Orient, etwa wie das Vorspiel von Schumanns „Peri“ – sobald aber der Vorhang aufgegangen, ist es gleich der erste Chor, der uns die lustige Verwir- rung einer festlich aufgeregten Volksmenge schildern soll, uns aber nur, und zwar gegen die Absicht des Componisten, ein unangenehmes Bild der Verworrenheit giebt. Ich will zur Schilderung Rubinsteins jenen Musikhistorikern der Zukunft wenigstens ein Gleichniß angeboten haben, das sie, wenn sie wollen, benützen kön- nen. In einem verschollenen Buche von Kotzebue, „Chroniken“ be titelt, kömmt ein vom Autor in sichtlicher Aemulation mit Wielands „Oberon“ erfundenes Mährchen vor, und in dem Mährchen ein König „Purmentor“ der ein gewaltiger Riese ist, aber nur bis Mitternacht, denn mit dem Schlage der Mitternachtsglocke schrumpft er zum Pygmäen zusammen und wird erst wieder bei Sonnenaufgang der frühere Gigant. Man könnte nun meinen, Purmentor-Rubinstein habe z. B. die Ocean-Symphonie vor, den „Feramors“ aber nach Mitternacht componirt. Der Text des „Feramors“ – als „lyrische Oper in drei Aufzügen“ bezeichnet – ist nach Thomas Moore’s Lalla-Roukh von Julius Rodenberg gedichtet. Das Gedicht Moore’s ist hochpoetisch gedacht, die Episode der „Peri“ insbesondere ist (und nicht etwa erst durch Schumanns Musik) berühmt, und mehr als das, sie ist populär geworden; und das lebhafte Interesse für das „Erdenparadies am Roknabad“, für Kaschmir (ein Interesse, das sich früher, mindestens von Seite der Damen, wesentlich auf die dortigen Shawls beschränkte) datirt eigentlich erst seit der Lalla-Roukh. Daraus hat nun Rodenberg auch sein Libretto genommen. Die Handlung desselben erzählen zu sollen, ist Verlegenheit – und der Dichter scheint durch die Bezeichnung „lyrische“ Oper im vorhinein eine Verwahrung gegen den Vorwurf eingelegt zu haben, daß im „Feramors“ eigentlich so gut wie nichts geschieht. Lalla-Roukh, die Prinzessin von Hindostan, wird auf ihrem Brautzuge zum Könige von Bokhara, dem sie verlobt ist, ohne ihn je gesehen zu haben, von dem Sänger Feramors begleitet, an den sie unterwegs ihr Herz verliert, ohne zu ahnen, daß es der König, ihr Verlobter, in eigener Person ist – ihre Ueberraschung ist daher in der letzten Scene eine sehr angenehme. Die Episode von ihrer Freundin Hafisa, die von dem lächerlichen Großvezier aus Hindostan mit unbe- quemen Liebesanträgen verfolgt, aber zuletzt vom Bokharer Gesandten Chosru als Gattin heimgeführt wird, der Zwischenfall, daß Feramors auf die falsche Beschul- digung Fadladins, als habe er gegen ihn einen Dolch gezückt, festgenommen wird und daß Chosru deßwegen den angeblichen Attentäter zum Galgen verurtheilt, bis sich der Attentäter als König von Bokhara entpuppt (er verschmäht es, wie Almaviva im „Figaro“, zu sagen, wer er ist, und geht willig ins Gefängniß) das alles bringt nur sehr wenig oder eigentlich gar kein Leben in jene mehr als dürftige Handlung. Ein wunderlicher Passus wird nach Feramors Verurtheilung (die ganz ausdrücklich auf „Hängen“ lautet) dem Chor in den Mund gelegt: „Fort zum Galgen, es fließe sein Blut!“ Der Vers verdiente von Schikaneder zu sein und in der „Zauberflöte“ zu stehen. So ärmlich aber das Textbuch ist – man frägt sich doch, was z. B. C.  M. v.  Weber daraus gemacht haben würde, der Componist des „Oberon“, dessen Text-