Seite - 173 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

173 Mai 1872 10 15 20 25 30 35 40 45 50 unser werther Dr.  Hanslik eine neue, vermehrte Auflage seiner „Geschichte des Concertwesens in Wien“ veranstaltet, so wird er diesem Wagner-Concerte ein besonderes Blatt widmen müssen – ein Blatt, für welches, wie weiland für die Decrete der byzantinischen Kaiser, Purpurschrift das Angemessene sein möchte. Nicht als ob die künstlerische Seite (so bedeutend sie war) alles früher Dagewesene überböte; aber das Ganze zusammen, das Publicum mit eingerechnet, war wirk- lich ein Ereigniß und zwar ein Ereigniß, dem wir nichts Aehnliches entgegenzu- stellen wüßten. Ich denke noch der Zeiten, da Richard Wagner mit seinem hohen Wollen, mit seinem bedeutenden Vollbringen nur ein Gegenstand des Spottes, sein Edelstes und Bestes zu dem vielleicht noch schlimmeren Lose verurtheilt war, un- beachtet zu bleiben. Ich gedenke gern der mir unvergeßlichen Stunde – Wagner selbst wird es freilich längst vergessen haben – im Garten des Marcolini’schen Palastes in Dresden (Wagner wohnte damals dort – es war im Juni 1848), wo er mir seine Principien über Oper und dramatische Musik in der geistvollsten Darstel- lung auseinandersetzte, – sein Buch „Oper und Drama“ war damals noch nicht erschienen. Und darf ich sagen, daß ich aus dem lebendigen Wort aus seinem Munde mehr gelernt habe als aus den drei Bänden seines Buches? Damals wollte mir Wagner eine autographirte Partitur seines „Tannhäuser“ als Andenken (!) für Kittl nach Prag mitgeben und sah seinen eben vollendeten „Lohengrin“ als eine Studie an, ohne Hoffnung ihn je auf der Bühne zu erblicken. Und jetzt? Wagners Dichterträume verwirklicht zu sehen ist eine deutsche Nationalangelegenheit ge- worden, die Gunst der Mächtigen greift mächtig ein, die Geldmittel strömen von allen Seiten zu und Beifall und Lorbeer – figürlich und unfigürlich – setzt es in Hülle und Fülle. Auch unfigürlich: denn bei dem Concert erhielt Wagner wohlge- zählt acht Lorbeerkränze, also gerade um sieben mehr als Goethe’s Tasso. Und die Art, wie Wagner bei seinem Hervortreten begrüßt wurde, kann man nicht mehr Beifall, begeisterte Zustimmung, herzlichen Zuruf nennen – es war ein geradezu orgiastischer Taumel, wie wir ihn noch gar nie erlebt; die Versammelten erhoben sich von ihren Sitzen, Tücher wurden geschwenkt, Hochrufe ertönten von allen Seiten – gar nicht beruhigen konnte sich das Publicum. Das Wagner-Concert, das wir eben erlebt, wird für den Culturhistoriker, als für Zeit und Ort höchst charak- teristisch, vielleicht noch wichtiger sein als für den Kunsthistoriker. Das Concert begann mit der Sinfonia eroica. Die voraussichtlich sehr lange Dauer des Concertes ließ die angesagte Ouverture von Gluck zur aulischen Iphi- genie vom Programm verschwinden. Wir bedauern das doppelt, denn erstlich ist der von Wagner hinzucomponirte Schluß (die Ouverture geht bekanntlich, ohne zu schließen, gleich in die erste Scene über) äußerst interessant, dann aber hat Wien gegen Gluck, einen seiner ruhmwürdigsten Bürger, ohnehin sehr große Schulden. (Wir behalten uns vor, auf dieses Capitel ein anderes Mal zu kommen.) Die Eroica leitete also ein – zum bitteren Jammer der echten und reinen „Wag- nerianer“, denn die Symphonie ist lang und sie dankten allen Heiligen, als dieser Beethoven mit seiner Symphonie überstanden war und der „wahre Genuß“, d. h. Wagner’sche Musik begann. Von der Aufführung der Symphonie dürfen wir nur sagen, daß insbesondere jene des Trauermarsches zu den allerhöchsten Orchesterleistungen gehört, deren