Seite - 174 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

174 Mai 1872 55 60 65 70 75 80 85 90 95 wir uns zu erinnern wissen. Die breite und machtvolle Steigerung in der fugirten Stelle war geradezu überwältigend. Das Final hielt sich bis zu dem wunderbar weihevollen Schlußandante und jubelnden Schlußpresto einfach auf der Höhe einer guten, nicht gerade der „vorzüglichsten“, jedenfalls aber einer des Werkes würdigen Aufführung, von dem Andante an wurde die Ausführung wieder eine außerordentliche, das Crescendo vor dem Eintritte des letzten Presto überbot vielleicht alles Andere. Das, was ich zunächst sagen will, ist nicht für die P.  T. Wagnerianer, welche ich dringend bitte die folgenden zehn oder zwölf Zeilen nicht zu lesen, da es mir in der That leid thäte, von ihnen als Bösewicht geächtet zu wer- den. Bettina betitelte eines ihrer Bücher „dieses Buch gehört dem König“, so sage ich: die folgenden Zeilen gehören Richard Wagner und keinem Anderen. Also: erstlich war das Scherzo überjagt. Es ist denn doch von höchster Wichtigkeit, daß die je drei Viertelnoten staccato jedes Taktes ganz plastisch scharf und präcis he- rauskommen. Wenn nun aber bei dem Tempo, wie es genommen wurde, nicht einmal dieses Orchester (dem Wagner selbst die Anerkennung zollt: es sei das erste Orchester der Welt) es zu prästiren vermag, wenn das Staccato der Contra- bässe, auf dem B (nach dem d der Violen) nicht mehr deutlich werden kann, so bedarf es keines weiteren Beweises, daß das Tempo zu schnell war – nicht eben um viel, aber Gluck hatte ganz recht, als er an Klopstock schrieb: ein wenig zu langsam oder zu schnell verdirbt ein ganzes Stück. Zweitens läßt Wagner die Streicher stellenweise gegen die Bläser zu sehr zu- rücktreten. So hörte man in den letztesten Takten des Trauermarsches die Bruch- stücke des Thema’s in den Saiteninstrumenten aus den Einsätzen der Blasinstru- mente kaum heraus. So hörte man im eigentlichen Thema des Finals nach der Fermate die so äußerst reizende Figur der Geigen gar nicht. Drittens war das berühmte As der zweiten Geige in zarter Rücksicht auf das damit zusammentreffende G des Waldhorns in G verbessert oder verschlimm- bessert. Da möchte man doch rufen: Malet, ihr Herren, eure musikalischen Zu- kunftsgurken, wo ihr wollt, aber die Partituren unserer großen Meister laßt unan- getastet. Ihr steht lange nicht hoch genug, um einem Beethoven das Pensum zu corrigiren. Den Wagnerianern, die das Vorstehende trotz meiner Warnung dennoch lesen und vermuthlich in Zorn gerathen werden, will ich zu ihrer Beruhigung sagen, daß ich Wagner für einen der größten Dirigenten aller Zeiten gehalten habe und halte, auch wenn er seine leidige Schrift „vom Dirigiren“ ungeschrieben gelassen hätte. Die neue Redaction der „Tannhäuser“-Ouverture, die in der jetzigen Gestalt gleich in die erste Hörselberg-Scene hinüberleitet, ist ohne Zweifel eine sehr glück- liche. Will man die „Tannhäuser“-Ouverture als selbstständiges Stück für’s Con- cert, wird man allerdings zu ihrer früheren Gestalt zurückgreifen müssen, wo sie sich streng architektonisch und zwar in ganz vortrefflicher Anordnung und Zu- sammenstellung ihrer Elemente aufbaut. Aber schon Liszt, Wagners erster und würdigster Apologet, machte die Bemerkung, daß die erste Scene nur eine Recapi- tulation dessen sei, was man schon in der Ouverture unmittelbar vorher gehört. Mit großer Einsicht war Wagner jetzt bedacht, eine Steigerung anzubringen, und