Seite - 226 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

226 August 1872 25 30 35 40 45 50 55 60 65 philen eher sofort an seinen gleichzeitigen Namensvetter, den Verfasser des „hölli- schen Proteus“ und anderer curiosen Bücher denken werden, welcher indessen nicht Johannes, sondern Erasmus hieß. Und so will ich also den guten Johannes aus dem stillen Schattenreiche heraufcitiren, zumal sein Lebenslauf, den er in einem langen, am 11.  Jänner 1740 an Mattheson geschriebenen Briefe überaus naiv und treuherzig geschildert hat, manchen Blick in Leben, Art und Sitte jener Rococo zeit gewährt – wenigstens auf dem Gebiete, auf dem sich Johannes Francisci bewegte. Ich habe ihn in der Ueberschrift einen musikalischen Preßburger genannt, weil Preßburg den Gipfel der musikalischen Ehren und Würden bezeichnet, welche zu erreichen ihm vergönnt war. Sein Geburtsort war Neusohl. „Ich habe“, schreibt er an Mattheson, „in der königlichen freien Bergstadt Neusohl in Ober-Ungarn Anno 1691 den 14.  Junius zum ersten Male das Licht dieser Welt erblicket und zugleich das erste Lamento gesungen. Mein Vater Georg war wohl- verdienter Cantor bei der löblichen evangelisch-deutschen Gemeine daselbst, meine Mutter Katharina eine geborne Horvathin.“ Das Gymnasium seiner Vater- stadt gab ihm die erste Bildung „unter getreuer Anführung eines schon in der Ewigkeit unter den Sternen leuchtenden Lehrers Hr. M. Johann Burius und eines auf dem Lehrstuhl berühmten Herrn Johann Pilarik“, – die „ersten Gründe auf dem Clavier“ erhielt er von Jakob Karchut, welcher durch Vater Georgs „Anprei- sung von den Herren Vorstehern zum Organisten beeder Nationen, der ungari- schen und deutschen, ernannt wurde“. Ein Organist zweier Nationen – wie groß- artig! Leider hat es nicht genügt, dem Manne, der für die ungarische und deutsche Nation orgelte, bei Fétis eine Unterkunft zu verschaffen, er fehlt gleichfalls im Lexikon. „Das übrige wenige Wissen“, fährt Francisci fort, „so mir durch Gottes Gnade beiwohnet, ist meinem eigenen Nachsinnen und Fleiße zuzuschreiben.“ Er war also Autodidakt, eine große Seltenheit bei den Musikern jener Epoche, welche an die Schulbank durch jahrelanges Sitzen fast anwuchsen und, wie es in jenem apokryphen (oder vielleicht nur nach einem echten Schreiben von Rochlitz für Leipziger Bedürfnisse zurechtgerochlitzten) Briefe Mozarts heißt: „schon als Buben vom Meister Knipse und Donnerwetter schmeckten“. Sind doch auch in neuer und neuester Zeit componirende Autodidakten, deren Compositionen nicht dilettantisch haltlos und zerfahren sind, sondern neben Correctheit den festen, sicheren Zug der Meisterschaft haben, wie ihn ehe- mals die Schule gab, eine Rarität – der Componist vortrefflicher Streichquartette und Lieder W.  H. Veit und der Wiener Julius Zellner, dessen schön leuchtender Stern zur Zeit im Aufsteigen ist, wären hier zu nennen – wenn man nicht etwa gar auch Franz Schubert unter die Autodidakten rechnen will, der, als sein Lehrer, der Organist Ruzicka, den Mund lehrhaft aufzuthun begann, Alles schon wußte, was jener sagen wollte; „er hats vom lieben Gott gelernt“, rief der Lehrer verwundert aus. Aber zu Ende seiner kurzen, glänzenden Laufbahn rief Schubert selbst, „jetzt weiß ich, was mir fehlt“ und er, der durch das, was er bereits geleistet, den unver- welklichen Lorbeer errungen und dessen Name bestimmt war, neben den Größten seiner Kunst zu stehen, wollte sich demüthig hinsetzen und „Contrapunkt studi- ren“. Der Tod fand, das sei ganz überflüssig, Schubert habe auch den Contrapunkt