Seite - 255 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

255 September 1872 35 40 45 50 55 60 65 70 75 oder wie sonst zum Lachen bringt, sind uns willkommene Leute. Aber wenn die Posse ihre Schwänke mit unerhörter Langweiligkeit und ohne eine Spur von Geist, von wirklichem Witz auskramt, dann wächst unser Ueberdruß von Minute zu Minute und statt erheitert gehen wir gründlich verstimmt nach Hause. Das ist in zwei Worten der Eindruck, den Offenbachs neueste Burleske zurückläßt. Die Operette wimmelt von komischen Figuren, aber keine einzige davon ist wirklich komisch; nicht einmal Komiker von so eminentem Talent, wie A.  Swo- boda, Friese, Rott, können etwas daraus machen. Wir bekommen Neuauflagen längst abgenützter Typen: den wohlbekannten potenzirten Fähnrich Rummelpuff in Offenbach’scher Redaction; den Tauben, der alle Augenblicke mißversteht, hier aber zur Schärfung des komischen Effectes gar auch Musikdilettant ist, nach jener richtigen Definition, ein Musikdilettant sei insgemein einer, der zu seinem, aber selten zu anderer Leute Vergnügen Musik macht. Unser tauber Musikdilettant ist Violinist, der mit seiner Geige sich ergötzt und Andere martert – auch uns, als harmlose, außerhalb der Handlung seßhafte Zuschauer, denn der Spaß kakopho- nischer Musik wird in der Operette fast todtgehetzt; – außer dem geigenden Hart- hörigen besitzt nämlich der Teufel des Dilettantismus auch die übrigen Personen des Drama, sie wollen Herolds „Zampa“ aufführen u. s. w. Das Thema „Corsar“ wird in der Handlung ganz eigen variirt, – „Zampa“ ist in der nach ihm betitelten Oper bekanntlich ein solcher, außerdem zittern die Philister des Stückes vor einem mythischen „schwarzen Corsaren“, der die benachbarten Meere und Küsten unsi- cher machen soll und in dessen Maske der eine Liebhaber des Stückes seine Gelieb- te dem widerwilligen Oheim ablistet. Ein wirklicher Corsar kommt gar nicht vor. Verkleidungen spielen im Ganzen eine große Rolle. Unsere Urur-Großeltern er- götzten sich weiland in der Hannswurstkomödie an ähnlichen Dingen und schon der Titel verkündigte zum Beispiel: „Triumph römischer Tugend und Tapferkeit, oder Gordianus der Große mit Hannswurst dem lächerlichen Liebesambassadeur, curieusen Befehlshaber, vermeinten Todten, ungeschickten Mörder, gezwungenen Spion und was noch mehr die Komödie selbst erklären wird“. – Der Hannswurst ist durch Gottsched und die Neuber längst begraben, aber den Titel könnten wir fast in ähnlicher Art stylisiren: „Der schwarze Corsar, mit den Liebhabern als per- sianischen Tabuletkrämern, galanten Modeherren, italienischen Dudelsackpfei- fern, vermeinten Corsaren und was noch mehr die Komödie selbst erklären wird“. Und sie erklärt noch viel, viel mehr! Eine sogenannte „Hosenrolle“ galt ehedem schon für eine sehr pikante Würze. Stäte Steigerungen haben uns dahin gebracht, daß wir den Pfeffer gepfeffert, den Zucker gezuckert bekommen. Alle drei Damen im „Corsaren“ erscheinen, nachdem sie sich anfangs als Damen eingeführt, im Laufe des Stückes in idealer, malerisch-romantischer, papageienhaft bunter Män- nertracht – die Primadonna gar in drei verschiedenen Anzügen dieser Art, einer immer prächtiger als der andere. Ja der ganze Weiberchorus macht in ähnlich fabelhaften Prachtanzügen, welche diesmal die Kriegskleidung der Mannschaft des Lagerschiffes vorstellen sollen, bei dem schon erwähnten elektro-magnetischen Licht Evolutionen – der Pagenchor „der Prinzessin von Trapezunt“, der Studenten- chor des „Fantasio“ mußte natürlich durch irgendeine Steigerung überboten wer- den. Wie die Helme, die Schilde, die Harnische in dem nachgeahmten Sonnen-