Seite - 257 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

257 September 1872 125 130 135 140 145 150 155 160 165 lichen dramatischen Moment als Tanzmusik gemeint wäre, sondern kurz und gut, weil es eine Polkamelodie ist, die ihnen gleichsam in die Füße fährt. Offenbachs Partitur bringt ein Trinklied mit Chor im zweiten Act, in dem sich Offenbachs ganze glänzende und originelle Begabung ausspricht. Das ist aber auch das Erste und Letzte in dieser Composition. Doch ja, auch die Musik der Dilettanten ist mit gutem Humor, ja mit einer Art Genialität behandelt. Man muß ein wenig Einblick in die Technik des Componirens haben, um es ganz zu würdi- gen, was für eine vortreffliche Arbeit z. B. die erschreckliche Symphonie ist, womit der erste Act geschlossen wird (von Mozart existirt ein ähnlicher Scherz). Nur wiederholt sich der Spaß zu oft – gleich beim Aufziehen des Vorhanges in der Musikprobe, wo ein zopfiges instrumentales Quatuor (oder was es ist), an dem der Taube mit seinen Freunden herumgeigt, in der geschicktesten Weise mit dem Quatuor (hier Trio) aus „Zampa“: „le voici“ in Verbindung gesetzt ist, dann zum Actschluß jene Symphonie, dann im zweiten Act die Scene, wo Lambrequin der Köchin Susanne mit Hülfe seines Fagots die Stelle „er ist da, ist da, ist da!“ jenes „Zampa“-Fragmentes beibringen will, dann die Scene der Pifferari, deren Schnarr- musik (beiläufig gesagt hatte Meyerbeer in Rom eine wahre Passion dafür) ergötz- lich parodirt, aber auch carikirt wird, und endlich die Opernprobe des „Zampa“. Herold würde sich todtlachen, wenn er zu hören bekäme, wie Offenbach seine Ouverture zugerichtet hat. Aber es ist, wie gesagt, zu viel Ohrenmarter für Einen Abend und was ein Mal ergötzt, wird zum Ueberdrusse, wenn es zum zweiten, dritten Male u. s. w. kommt. Sonst finden sich in der Partitur einige graciöse Momente, einige ansprechende Pikanterien, aber daneben viel, sehr viel Vernütztes, Nichtssagendes, Lärm, Tanz- bodenmusik, Lückenbüßer, denen man die Eile ansieht, welche der Componist hatte, einige Partiturseiten möglichst schnell mit Notenköpfen zu füllen. Wem aber der Himmel ein so neidenswerthes Talent gegeben, wer über eine solche Sum- me künstlerischer Erfahrungen verfügen kann, wer eine so glückliche, leicht schaf- fende Hand besitzt, sollte für seinen eigenen Künstlerruhm besorgter sein. Es ist für letztere keine Assecuranz, wenn das Publicum bei einer ersten Aufführung lacht und jubelt. Offenbach wird wohl die Verkühlung und Verstimmung bemerkt haben, die sich im Laufe des dritten Actes des anfangs mit jeder möglichen Voreingenom- menheit zu seinen Gunsten herbeigekommenen Publicums bemächtigte, und wie sich der Applaus mehr und mehr in „höhere Regionen“ zog. Er glaube nicht, es sei, da er einmal Namen und künstlerischen Credit hat, für uns eben Alles gut und zu gut, was er uns hinzuwerfen für gut findet. Was er leisten kann, wenn er will, zeigt das vortreffliche Trinklied – um so bewundernswerther, als gerade das Capi- tel der Trinklieder in der Opernlitteratur zu den allerverbrauchtesten gehört und wir sonst schon ein bedenkliches Gesicht machen, wenn der Tenor mit gehobenem Glas näher an die Lampen tritt. Wie wir hören, hat Offenbach ein neues Werk für Director Jauner im Plane. Sehe er sich schon bei der Wahl des Buches vor! Auf die gedankenlose Schaulust, triviale Sinnlichkeit, das Lachen über jeden guten oder schlechten Spaß seine Erfolge bauen wollen, ist die bedenklichste Taktik.