Seite - 261 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

261 Oktober 1872 90 95 100 105 110 115 120 125 130 weilen ruhig bleiben. Der Meister des „Don Giovanni“, der G-moll-Symphonie, des Requiem steht als Stern erster Größe für alle Zeiten am musikalischen Him- mel, und wenn sich gewisse Leute ein Vergnügen daraus machen, mit beiden Hän- den jedes reine oder nicht reine Projectil, das ihnen gerade in den Griff kommt, nach ihm zu werfen, so können wir ihnen nur die Versicherung geben: sie errei- chen ihn nicht und die Projectile fallen zurück – auf den Kopf der gewissen Leute. Man würde auch mit Beethoven reine Tafel machen, wäre der rechte Moment dazu da. Einstweilen hat aber Beethoven noch zu viel Credit. Bei einem Beethoven revue et corrigé sind wir aber doch schon glücklich angekommen – siehe die Har- monie- und Instrumentations-Verbesserungen in der „Eroica“, der C-moll-Sym- phonie, der achten Symphonie. Ein Gast, den wir neben Clara Schumann und Frau Joachim erwarten, Mary Krebs war vor mehreren Jahren in Wien, als Wunderkind, oder richtiger als Wun- derbackfisch, denn sie stand damals im Uebergangsmoment vom Kinde zur Jung- frau. Aus dem vielversprechenden Kinde ist mittlerweile die fertige Künstlerin geworden, ihre Richtung und Art mag in Vielem an Clara Wieck erinnern, doch nicht ohne fühlbaren Einfluß moderner Elemente. Ob America das schöne Bild, das wir von der jungen Künstlerin in der Erinnerung tragen, nicht mannigfach getrübt und verwischt haben wird? Die solide Bildung, welche Mary über den Ocean mitnahm, war freilich ein gutes Präservativ gegen americanische Barnumis- men. In dem musikalischen, kritischen und zuweilen krittlichen Prag hatte Mary Krebs vor drei Jahren einen über alle Maßen glänzenden Erfolg. Ihr Vortrag eines Concertes, das gar nicht für Mädchenhände gemacht scheint, des Beethoven’schen Es-dur-Concerts, riß Alles hin. Ich gab damals dem jugendlich heiteren Mädchen das Räthsel zum Errathen auf: „wodurch sie sich von anderen Krebsen unterschei- de?“ Sie rieth hin und her, die Auflösung aber war: „sie sei, zum Wiederspiel der anderen Krebse, am besten in den Monaten mit r, weil in diese die Concertsaison fällt“. Lauterbach gehört, gleich Mary Krebs, Dresden an, als solider, tüchtiger und feingebildeter Violinist mit Recht hochgeschätzt. Wilhelmi’s Name gehört zu den besten. Das wären also alles gar erfreuliche Aussichten! Als ich jüngst zufällig in den großen Saal des Gebäudes der Gesellschaft der Mu- sikfreunde kam, sah ich mit nicht geringem Vergnügen, daß man vollauf beschäftigt sei, die neue Orgel von Ladegast (dessen herrliches Rieseninstrument im Merseburger Dom mich einst zu dem Jean-Paulismus hinriß, „es wohne darin der Donner und die Nachtigall beisammen“) aufzustellen. Ich hoffe also, daß wir künftighin Händel nicht mehr in vermoselter Gestalt, sondern so zu hören bekommen werden, wie der gewaltige Meister seine Oratorien haben wollte, wenn er an bestimmten Stellen das heroische Commandowort hinschrieb: „Orgel laut!“ Ich erinnere mich, den „Salomo“ auf diese Weise gehört zu haben, die Wirkung war eine gewaltige. Alle Bearbeitungen Händels mit orchestermäßigen Blasinstrumenten an Stelle der Orgel sind am Ende, selbst wenn ein Mozart sich der Mühe der Bearbeitung unterzogen, Nothbehelfe, – das kann man auch ohne musikalische Buchstabengläubigkeit behaupten, daß diese Nothbehelfe sehr oft absolut unvermeidlich sind, daß sie in hohem Grade gelungen sein und dann ein sehr großes Verdienst haben können, ist sicher, – kann man aber das Original haben, so ist’s jedenfalls besser.