Seite - 283 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

283 Oktober 1872 175 180 185 190 195 200 205 210 215 tion in seine Musik). In diesen kleinen Bal laden ist alles mehr skizzenhaft, andeu- tend behandelt, auch klingt zuweilen etwas hinein wie ein gesunder Klang aus dem Volksliede (man sehe die Hauptmelodie von „Robert und Käthe“). Den Uebergang zu den größe ren Balladen vermittelt „Richard und Mathilde.“ Bei den Gedichten von Goethe ist es für Zumsteeg ein Unglück daß Andere, Spätere die Sachen nochmals und viel besser und packender in Musik gesetzt haben. Den „Zauberlehrling“ darf man neben Löwe’s Composition, Mignons „heiß’ mich nicht reden,“ neben Schuberts kaum nennen, obwohl Zumsteeg den richtigen Grundton sehr wohl getroffen hat. Ein wahres Meisterstück aber ist die „Erwar- tung“ (Schillers Gedicht) im zweiten Hefte der „Sammlung kleiner Balladen und Lieder,“ die Disposition völlig der Behandlung desselben Gedichtes bei Schubert (Op.  116) ähnlich; und mag Zumsteegs Arbeit neben jener von Schubert (einer der zauber haftesten und genialsten seiner Compositionen) sich auch ausnehmen wie ein feines blasses Aquarellbild neben einem Ge mälde venetianisch glänzenden Colorits, man darf sie immer mit allen Ehren nennen. Kaum minder treffl ich ist das „Melancholikon“ im ersten Hefte (beide Hefte erschienen 1800), die bange Todesahnung, die sich wie ein düsterer Schleier über die erste Hälfte der Compo- sition bereitet, das Entsetzen beim Nahen des „Würgers aller Creatur,“ die siegrei- che Erhebung über die Schrecken des Todes am Schluß – das alles stempelt diese Composition zu einer der bedeutendsten ihres Schöpfers. Hier steht er ganz eben- bürtig neben Löwe. Zumsteeg und Löwe haben es beide gemeinsam daß man sie alle zwei als hochbegabte, hochpoetische Talente taxiren darf, aber ihnen den Titel der Genia- lität zuzugestehen sich durchaus besinnen muß, obwohl sie, wie Lessing beschei- den von sich selber sagte, oft etwas hervorbringen das den Anschein des Genialen hat, ohne es wirklich zu sein, was übrigens von Löwe in weit höherem Grade gilt als von Zumsteeg. Aber die gott gegebene Flamme der Genialität leuchtet und wärmt noch ganz anders! Wer es nicht glauben mag, halte Löwe’s „Erlkönig,“ den man im Eifer der Anerkennung dem Schubert’schen sogar hat vorziehen wollen, neben diesen. Löwe’s Composition wird dem Gedichte besser gerecht – der Vater reitet bei Schubert mit sehr viel unmuthigem Lärm und Spectakel, und sein Erl- könig singt wie ein Liebhaber der einer Geliebten ein Ständ chen bringt, während Löwe’s Nebelgespenst so unheim lich flüstert wie es flüstern soll. Aber ganz abgese- hen davon daß Löwe einige sehr bedeutende Züge aus Schu berts Composition sich sehr gut hinters Ohr geschrie ben, so hört man seinen Erlkönig am Ende doch mit verstandeskühler Billigung des Angemessenen, mit An erkennung des Wohlgetrof- fenen, während Schuberts Erlkönig alle wohlbegründeten Einwendungen siegreich zu Boden schlägt und unwiderstehlich hinreißt. Das Gretchenlied „Meine Ruh’ ist hin“ mit Löwe’s Composition ist nach jener Schuberts vollends nicht wohl an- zuhören – was für ein Gretchen-Ideal muß ihm da bei vorgeschwebt haben? Ist seine Musik hier herb, aber doch geistreich – wie es manche häßliche Mädchenge- sichter gibt welche man dennoch nicht umhin kann interessant zu finden, so ist Zelters Musik hinwiederum gegen jene Löwe’s nicht anhörbar – man muß dieses geistlose, platte, geradehin lächerliche Stück sehen, um so etwas auch nur für mög- lich zu halten! Besonders ist die bis zum dreigestrichenen C hinaufgeführte