Seite - 284 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

284 Oktober 1872 220 225 230 235 240 245 250 255 260 Schlußpassage zu den Worten, „an seinen Küssen vergehen sollt,“ ein Non plus ultra von Geschmacklosigkeit. Und ein solcher, der bis auf den Namen vergessen wäre, hätte er nicht das Glück gehabt Goethe’s Freund und der sogenannte „Leh- rer“ Mendelssohns zu sein, wagte es Werke wie Spohrs Faust, Webers Freischütz zu verhöhnen, ihre Schöpfer seinem großen Freund als verächtliche Pfu scher zu schil- dern. (!) Löwe’s „Lotosblume“ nach Heine hält den Vergleich mit den beiden herr- lichen Compositionen dieses Gedichts von Schumann und Robert Franz nicht entfernt aus. Aber man wird ebenso anerkennen müssen daß sich in den zahllosen Lieder- und Balladen heften Löwe’s Compositionen finden welche selbst Schubert Ehre machen würden – wie „Der Mönch von Pisa,“ eine tiefrührende Tondich- tung, zu deren ganz eigenem Ton nicht eben viele Seitenstücke zu finden sein möchten. Löwe hat, gleich Schubert, vor dem äl teren Zumsteeg schon den Vor- theil voraus daß er die geistigen Errungenschaften der Beethoven-Zeit verwerthen durfte. Gleich Schubert darf er dem begleitenden Pianisten noch ganz andere Dinge zumuthen als Zum steeg je wagen kann, obwohl z. B. die Begleitung der Elwine stellenweise auch nicht eben leicht zu nennen ist. Zumsteegs Claviertech- nik ist ungefähr die Mozart-Haydn’sche, die Technik Schuberts wurzelt in Beet- hoven, bei Löwe spielen noch neuere Elemente aus der „Neu-Romantik“ hinein. Aber die Singstimme singbar zu be handeln hätte Löwe von dem nach dem Italie- ner Jomelli gebildeten Zumsteeg immerhin lernen mögen. Löwe behandelt die Singstimme zuweilen mit ausgesuchter Grausamkeit, man sehe „Edward,“ das „Hochzeitslied“ (gebenedeit der Sänger der die raschen Figurationen herausbringt, die ihm hier zugemuthet sind!), oder Matthisons Elfenlied mit dem aufsteigenden diatonischen Lauf auf der ersten Sylbe des Wortes „Elfen“ u. s. w. Ferner rechnet Löwe zuweilen auf einen Sänger der in seiner Kehle den Tamino und den Sarastro vereinigt. Er selbst trug das alles freilich sehr geistreich, sehr er greifend, wie ein wahrer Rhapsode vor – aber wenn ein französischer Kritiker nach Anhörung einer Berlioz’schen Symphonie meinte: das sei zwar sehr schön, wenn gleich keine Musik, so hätte man hier sagen können: das sei zwar sehr schön, aber kein Gesang. Diese unhand lich behandelten Singparte haben Löwe nicht wenig im Wege gestanden – die Sänger legen die Hefte ver drießlich beiseite mit den Worten: „unsingbar, undank bar!“ Aber sie sollten sich’s die Mühe doch nicht ver drießen lassen, sie würden gar manches Lohnende finden! Es wird und kann uns nicht einfallen Zumsteegs Balladen etwa wieder ins moderne Musikleben einfüh ren zu wollen, so wenig als es uns einfallen wird un- serem modernen Publicum etwa Benda’s Ariadne oder andere ähnliche, von einer Zeit deren Geist nicht mehr der unsrige ist mit Recht hochgeschätzte, Werke zu- zumuthen. Für den tieferblickenden Musikfreund sind aber all dergleichen Dinge nicht verlorene, sondern nur bei seite gelegte Schätze. Wer nicht viel Zeit daran zu wenden hat, mag sich’s z. B. ins Himmels Namen an J.  S. Bach genügen lassen; aber wer den Giganten völlig verstehen will, darf die Mühe der Bekanntschaft mit seinen Vorgängern nicht scheuen. Da ist z. B. François Couperin – er nimmt sich neben Bach aus wie ein leichter bunter Papillon, der eine Blume um flattert, neben einem zur Sonne fliegenden Adler. Aber Couperins zierliche Cabinetstückchen werfen (wie schon Zelter in einem Brief an Goethe richtig bemerkt hat) ein neues