Seite - 287 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

287 Oktober 1872 45 50 55 60 65 70 75 80 85 Pendant dazu vorstellt. Die „Zauberflöte“ wurde der Anfangspunkt der späteren Zauber- und Mährchenopern und hinwiederum aller Priester-Opern, wo der baß- singende Ober-Pontifix den Mund nur öffnet, um erhabene Sprüche von sich zu geben, angesungen vom Jaherrn-Chorus seiner Unter-Pontificen; dahin gehört „Das unterbrochene Opferfest“ Winters, Spohrs „Jessonda“ und selbst noch Spontini’s „Vestalin“ und „Olympia“. Soll uns die Phantasie des Tonsetzers zu fremden Völkern, insbesondere in den Orient tragen, so ist die Abfahrtstation bei der „Entführung aus dem Serail“. Ich nenne statt alles Anderen nur Webers „Oberon“ – dem indessen die eingemischten mährchenhaften Elemente eine andere und besondere Färbung geben, – Webers „Abu Hassan“, diese reizende Bluette, sogar, wenn man will, Aubers „Maurer“ (wo der vornehme Türke mit seinen Leuten und seinem Reisehaushalte in die Handlung eingreift), das (in China spielende) „Pferd von Erz“ und Beethovens Türken in den „Ruinen von Athen“ gehören unverkennbar ebenso hieher, wie sogar noch in Robert Volkmanns prächtigem „Soliman“ (einer Nummer seines musikalischen Bildercyklus „Vyše- grad“) und in dem kraft- und effectvollen, kürzlich erschienenen „Türkenmarsch“ von Evers der von Mozart ein für alle Male angeschlagene Ton nachklingt. „Le nozze di Figaro“ und „Cosi fan tutte“ gaben hinwiederum den Ton für die komische oder richtiger für die lustspielartige Conversationsoper – mehr für Italien (ich erinnere an Rossini und selbst noch an Donizetti) als für Deutschland, wo, wie im recitirenden Schauspiel, auch in der Oper das Lustspiel nicht recht hat prosperiren wollen und manche sogenannte „komische“ Oper bedenklich an die bekannte Xenie von dem „Pedanten“ erinnert, den es „juckt, locker und lose zu sein“. Und wenn „Idomeneo“, Mozarts erster der Unsterblichkeit werther Erstling (denn seine Knabenopern: „Mitridate“ u. s. w. zählen nicht!) noch viel und zu viel von der damals hoffähigen Pracht- und Heldenoper an sich hat, so deutet er doch noch ungleich mehr und gewaltiger vorwärts als zurück; – Spontini’s Helden haben ihren von Gluck entlehnten Kothurn bei dem Hofschuster des Königs Idomeneus zu eigenem Gebrauch umarbeiten und insbesondere, damit er ihnen den Fuß nicht klemme, erweitern lassen. Nur „Titus“, die in Eile zusammenge- schriebene Fest- und Krönungsoper mit ihren langen Arien mit und ohne obligat eingreifende Soloinstrumente, ihren Glanzduetten und dem ganzen etiquette- mäßigen, gleichsam auf glatten Parketten vorsichtig und zierlich schreitenden Gange weiset nicht vorwärts, sondern zurück nach dem, was die damalige große und vornehme Welt aus den Zeiten her, wo eine Oper noch so viel bedeutete als ein musikalisch gefaßtes und aufgeschmücktes Hoffest, für groß und vornehm hielt, – nur in dem unvergleichlichen Finale mit dem Capitolbrande fand sich Mozart mit seinem Genius so ab, daß der Genius völlig zufrieden sein konnte. Daher ist „Titus“, trotz jenes herrlichen Finals, Mozarts schwächste Oper, soferne man bei Mozart von Schwäche reden kann, und wird eigentlich nur durch jenes Finale auf dem Zeitenstrome flott gehalten. Dagegen ist „Cosi fan tutte“ nicht nur nicht (wie man uns zu unserer pflicht- schuldigsten Darnachachtung kürzlich hat anticipando belehren wollen) eine „schwache Oper“, sondern sie zählt zum Besten in Mozarts reichem Leben und Schaffen. Die wenigen Klagen und Anklagen, daß da Ponte’s Text ein gar so ver-