Seite - 290 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

290 Oktober 1872 175 180 185 190 195 200 205 210 215 weltklugen und nichts weniger als geistlosen Mann wunderliche Naivetät, seiner Oper auch den zweiten Titel zu geben: la scuola degli amanti. Mit der von Oulibicheff vorgeschlagenen Modification hätte dieser Titel einigen Sinn. Die ganze Sache wäre mit einigen Takten Recitativ abgethan, die man am besten dem Alfonso, welcher bei der Geschichte ohnehin den diabolus rotæ spielt, in den Mund legen könnte. Möge sich also recht bald ein geschickter, geschmackvoller Ueber- setzer des Originals finden, einstweilen aber wollen wir uns, wenn es nicht anders geht, mit den bisherigen Be-, Ver- und Zerarbeitungen behelfen, denn, meint der Rathsherr im „Othello“, man kämpft am Ende doch lieber mit zerbrochenen als ganz ohne Waffen. Ueber Mozarts Musik, welche vom einleitenden Motiv der Ouverture, wo das „Cosi fan tutte“ als zu beweisende Thesis dasteht, bis da, wo es wie ein quod erat demonstrandum von Alfonso feierlich intonirt und von den beiden Freunden nach- gesungen wird, echter, unverfälschter Mozart aus des Meisters bester Zeit, aus der Zeit des „Don Juan“ und „Figaro“ ist, möge der Leser nochmals, falls er sich tref- fende, freisinnige Urtheile über das Einzelne entgegengebracht wünscht, an Otto Jahn und Oulibicheff gewiesen sein. Nur Eines möchte ich noch hinzufügen. Wenn ich sagte, Mozarts Musik weise vorwärts, so ist es nicht minder lehrreich, ihr stromauf und bis zu den Quellen zu folgen. Wir nehmen insgemein, aber nichts weniger als richtig, an, als sei hinter Gluck, wie man zu sagen pflegt, die „Welt mit Brettern vernagelt“ – als habe der Reformator mit allem Früheren reine Tafel ge- macht. Dem ist keineswegs so! Die Musik vor Gluck hat auch nach seiner Zeit ihre Früchte getragen und Mozarts „Figaro“ und „Cosi fan tutte“ sind aus Gluck in keiner Weise, aus seinen Vorgängern, gegen welche Gluck polemisch und reformi- rend auftrat, aber allerdings zu erklären. Es ist ein großer Irrthum ferner, zu wähnen, daß die vor-gluck’sche Oper, wenn sie nicht „buffa“ war, immer nur mit Göttern, Helden und Prinzessinnen zu thun gehabt – eine Menge Opern von Alessandro Scarlatti, Feo u. s. w. sind nach Text und Musik das feine Lustspiel, das edlere Conversationsstück, aber ritter- lich-romantisch tingirt – etwas der spanischen Komödie „di cappa y espada“ Aehn- liches. Es fehlen dabei keineswegs komische Charaktere, der prahlerische Capitano u. s. w., aber sie sind von der eigentlichen Buffonerie weit entfernt, sie müssen sich in der anständigen Gesellschaft eben auch anständig benehmen. Der eigentliche tolle Spaß, die Buffonerie, die Faschingstollheit, die lustige Carricatur bekam als Domäne jene köstlichen Intermezzi zu zwei, drei Personen, wovon Pergolese’s „Serva padrona“ ein unvergleichliches Beispiel bleibt, Spiele, wo es, wie Goethe richtig charakterisirt, meist auf Prellung irgendeines alten, verliebten Thoren durch ein junges, schlaues Mädchen hinausläuft. Dieser Grundzug ging dann in die Opera buffa über, die sich durch Herbei- ziehen mehrerer dramatischen Figuren, reichere Gestaltung der Situationen, Er- weiterung des Ganzen u. s. w. aus dem ursprünglichen einfachen Scherzspiel ent- wickelte. Noch in Rossini’s „Barbiere“, in seiner „Italiana in Algeri“, sogar in Donizetti’s „Elisir d’amore“ und „Don Pasquale“ ist jener ursprüngliche Zug nicht ganz verwischt. Und wenn nun jene Intermezzi als zum letzten und höchsten Ziele, zu Rossini’s „Figaro“ leiteten, so führten jene anderen Mantel- und Degen-