Seite - 308 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

308 November 1872 100 105 110 115 120 125 130 135 140 ist überhaupt der erste Componist, welcher dem Texte des ambrosianischen Lob- gesanges völlig gerecht geworden. Der Capellastyl der älteren Meister mit der ätherischen Färbung seiner reinen Vocalsätze, mit dem breiten ruhigen Hinströmen seines Melodiegewebes und der daraus resultirenden Harmonien reichte für diesen aus voller Seele und vollem Herzen tönenden Jubel nicht aus und Costanzo Festa’s berühmtes Te-Deum wird in seinen letzten Strophen fast schon unausstehlich; es ist, als werde man ein gan- zes langes Festmahl hindurch mit einer süßen Speise nach der anderen bewirthet. Zum Te-Deum gehört die markige Sprache, welche die Musik erst seit 1600 ge- lernt, und der Glanz des Orchesters, der Sturmathem der Geiger, der Donner der Bässe und Pauken, der eherne Glanz der Trompeten, der Goldton, den die Oboen der Tonfärbung des Ganzen geben, die vollströmende gewaltige Orgel. Das Det- tinger Te-Deum repräsentirt so ziemlich das Höchste, was in dieser Richtung für die Aufgabe zu gewinnen war. Man thut der Composition nicht einmal einen sonderlichen Gefallen, wenn man die Orchestrirung, wie Mendelssohn gethan, modernisirt und verstärkt. Die Originalgestalt, in welcher uns das Werk geboten wurde, so daß wir auch die Trompetensätze beim „Clarinblasen“ zu hören be- kamen, wie sie Händel schrieb, hat uns wesentlich nichts weiter vermissen oder wünschen lassen. Merkwürdig wie auch in den anderen Werken Händels ist es, daß die zahlreichen Idiotismen und Redensarten, welche stets wiederkehren, den- noch jedesmal mit Urkraft und scheinbar erst wie da, wo wir sie eben hören, an rechter Stelle wirken. Man fühlt sich in diesem Te-Deum alle Augenblicke an Stellen aus dem „Messias“ und „Israel in Aegypten“ u. s. w. gemahnt, aber macht weiter kein Wesens davon – es ist gut so. Unter den Solisten, welche diesmal mitwirkten, hatte Herr Kraus die umfas- sendste und dankbarste Partie, die Baßpartie. Frl. Rosa Girzik und Herr Pirk, auf die Mitwirkung im Terzett beschränkt: „Du sitzest zur Rechten des Herrn[“] (thou sittest at the right hand of God), führten ihre Aufgabe mit Pietät und Liebe durch. Bei dem Chore: „Dir singt der Engel Chöre“ u. s. w. und bei dem übergewaltigen, darauf folgenden „Heilig“ mußten wir an Beethovens Ausruf über Händel denken: „Gehet hin und lernt mit so einfachen Mitteln so ungeheure Wirkung hervorbrin- gen!“ Unsere Zeit scheint zum guten Theile auf dem entgegengesetzten Punkte zu stehen, sie bietet meist ungeheure Mittel zu oft sehr geringen Wirkungen auf. Nach dem strengen Antlitz Händels trat uns Mozart entgegen und lächelte freundlich. Seine Arie mit obligatem Klavier bleibt durch diese eigenthümliche Zusammenstellung, auch abgesehen von ihrer hohen musikalischen Schönheit, sehr merkwürdig. Mozart componirte sie für die Sängerin Nancy Storace und für sich selbst im Jahre 1786, also zwischen „Figaro“ und „Don Giovanni“, in der letz- ten, blühendsten Epoche seines Schaffens. In der That könnte diese Arie in einem fünften Act des „Figaro“ oder in einem dritten des „Don Juan“ der Gräfin oder der Donna Anna in den Mund gelegt werden. Der große Magus des musikalischen Wohlklanges, Mozart nämlich, hat aus der eigenen Combination von Concertarie mit Orchester und Klavierconcert mit Orchester die wundervollsten Wirkungen zu gewinnen gewußt, ganz eigene Effecte, die nur bei dieser Combination möglich wurden.