Seite - 318 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

318 November 1872 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Orchester in so eminenter Weise zusammen wie diesmal unter Herbecks bewähr- ter Leitung, so wäre es freilich ein bares Wunder, wenn das Publicum sich nicht auf’s heiterste angeregt fühlen und nicht völlig bei der Sache sein sollte. Und so war es auch. „Abu Hassan“ hat am Abend seiner ersten Aufführung in Wien einen vollständigen Erfolg errungen. Mag vielleicht der Name des Componisten des „Freischützen“ und der „Euryanthe“ das Seine dazu gethan und das Publicum im vorhinein günstiger gestimmt haben – das Hauptverdienst behält doch der wirkli- che Werth der Partitur. Daß wir uns an einem so gar sehr harmlosen dramatischen Stoffe wie dieser „Abu Hassan“, durch treffliche Musik veredelt und durch treffli- ches Spiel belebt, so innig ergötzen konnten, beweist, daß unser Gaumen durch den spanischen Pfeffer der modernen Operette noch nicht genug verbrannt ist, um sich gegen minder gewürzte, aber gesündere Kost undankbar zu erweisen, und daß wir der beliebten Zuthat von Assa fœtida, welche nach der Behauptung der echten Gourmands erst den richtigen Wohlgeschmack, den wünschenswerthen Hautgout giebt, auch dann ganz wohl entbehren können, wenn uns etwas munden soll. Webers Ruhm wird insgemein vom „Freischütz“ an datirt. Der außerordentli- che Erfolg dieser Oper überglänzte auch in der That alle früheren Leistungen des Componisten dergestalt, daß ihrer kaum noch weiter gedacht wurde. Und doch stand Weber damals bereits in der Unsterblichkeitsassecuranz des Brockhaus’schen Lexikons, dessen eine, ältere Edition von der „Jägersbraut“ (so sollte bekanntlich der „Freischütz“ ursprünglich heißen) als der nächstens zu erwartenden Arbeit Karl Maria’s redet. Arbeiten wie „Abu Hassan“, selbst wie die viel musikalisch Schönes enthaltende, aber durch ihre fadenscheinig gewordene Ritterromantik mit den obligaten Turnierschranken, Eremiten, geraubten Kindern u. s. w. für uns völ- lig ungenießbar gewordene „Silvana“, gewisse Lieder und Klaviersachen aus der Zeit vor dem „Freischütz“ u. a. m. machen es sehr begreiflich, daß Webers Name schon damals einen sehr guten Klang hatte. Bei dem großen Bedürfniß nach komischen, leichteren Opern, welche anzuhören nicht wie bei unseren epoche- machenden Riesenopern mit ihren Riesentenoren, Riesenchören, Riesenorches- tern u. s. w. eine Art Hercules-Arbeit ist, nach welcher man einige Zeit braucht, um von dem gehabten Kunstgenusse sich zu erholen, und da uns ferner des unaufhör- lichen echten und nachgemachten Offenbach gelegentlich doch schon zu viel wer- den will, ist es ein wahres Verdienst, reizende Nippes wie Webers „Abu Hassan“, Schuberts „Häuslicher Krieg“ u. s. w. aus dem Staube der Vergessenheit zu ziehen, unter welchem sie sehr unverdienter Weise begraben waren. Max Maria v. Weber, des Tondichters geistvoller, als Schriftsteller hochge- schätzter Sohn, charakterisirt in der von ihm geschriebenen vortrefflichen Biogra- phie seines unsterblichen Vaters „Abu Hassan“ kurz und richtig mit folgenden Worten: „Der Stoff dieser Operette ist eine lustige Apotheose des Polterns dringen- der Gläubiger und des Nothschreies geplagter Schuldner – das Product einer Peri- ode in Stuttgart, wo es dem Dichter des Textes und dem Componisten nur allzu sehr nahe lag, Situation und Personen nach dem Leben zu zeichnen.“ In der That blicken uns aus dem orientalischen Costüm lauter sehr bekannte Gesichter an und deutlich genug bemerken wir auch Karl Maria’s geiststrahlende, halb schalkhaft, halb melancholische Augen und seine große Nase. Auch er, der Arme, seufzte un-