Seite - 320 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

320 November 1872 115 120 125 130 135 140 145 150 155 aus. Webers Musik thut zu diesem Eindruck das Ihrige, sie ist voll Noblesse, voll jenes feinen geistigen Adels, der nur eben ein Erbtheil der Besten ist. Von der dras- tischesten Komik ist der Gläubigerchor, – aber auch dieser ist von Gemeinheit weit entfernt. Im Uebrigen ist die Oper mehr heiter und voll jugendfrischen Lebens als eigentlich komisch oder gar burlesk. Schon die köstliche Ouverture mit ihrer con- ventionell-orientalisirenden Färbung rasselt und prasselt wie ein Lustfeuerwerk voll sprühenden Brillantfeuers und steigender bunter Leuchtkugeln. Webers Cousin Mozart (er war es durch seine Heirat mit Constanze von Weber) meinte von der Ouverture zur „Entführung aus dem Serail“, es werde „niemand dabei einschlafen, gesetzt er habe auch die ganze Nacht vorher kein Auge geschlossen“ – diese lustige, aber sehr treffende Charakterisirung paßt auch auf das Weber’sche Stück. Unter den Nummern der Oper nimmt das sogenannte „Schlüssel-Terzett“ einen vorzüglichen Rang ein. Trefflich ist die Cavatine Fatme’s an der Scheinleiche ihres Gatten (Fräulein Hauck hob das absichtlich Ueberschwängliche des Ausdru- ckes derselben in der reizendsten Weise hervor). Weber componirte dieses feine Stück nachträglich und erst in der „Freischütz“-Epoche – ein Beweis, daß Weber seinen „Abu Hassan“ mit Recht für etwas sehr viel Besseres ansah als für einen flüchtigen Gelegenheitsscherz. Hielt er ihn doch auch werth, ihn am 14.  Jänner 1811, also bald nach seiner Vollendung „in saubern rothen Saffian gebunden“ (wie er seinem Freunde Gottfried Weber brieflich berichtet) dem kunstfreundlichen Großherzog von Hessen-Darmstadt dedicirend zu übersenden. Es war ein schönes Geschenk. Die Partitur wimmelt ordentlich von geistvollen Zügen und die Orches- tration enthält die reizendsten Einfälle. Ein sonderbarer und höchst origineller ist in Hassans Arie die obligate Guitarre, welche mit ihren näselnden Klimperklän- gen bald ein Solo-Fagott, bald den Sänger begleitet. Wer harmlosen Scherz und gute Musik liebt, wird sich ohne Zweifel an „Abu Hassan“ recht herzlich erfreuen. Franz Schuberts „Häuslichen Krieg“ oder, wie der Titel eigentlich hieß, „Ver- schworene“ haben wir mit Freuden begrüßt. Auch hier ist die Handlung ein höchst harmloser Scherz, an sich höchst einfach, auch hier hebt und trägt eine treffliche Musik das Ganze. Die aufs glücklichste contrastirenden Ritter- und Damenchöre geben der anmuthigen Kleinigkeit eine originelle Färbung – merkwürdig contras- tirte diesmal der lyrische Zug dieser Operette gegen den entschieden dramatischen „Abu Hassans“, das eigenthümliche Talent der beiden genialen Tonsetzer konnte sich nicht schärfer charakteristisch für den vergleichenden Blick darstellen. Chöre und Solisten (Fräulein Hauck, Frau Friedrich Materna, die Herren Müller, Mayer- hofer, Pirk u. s. w.) fanden reichen und wohlverdienten Beifall. Herbeck hat sich durch die Wahl und das treffliche Einstudiren dieser beiden Operetten und durch die sorgsame persönliche Leitung der Aufführung den Dank aller Musikfreunde verdient. Das erste philharmonische Concert am Sonntag versammelte wieder die an- dachtsvolle, zahlreiche musikalische Gemeinde, welche wir alljährlich in den kunstgeweihten Räumen finden, welche für jede Schönheit des Gebotenen das feinste Verständniß und deren echte Begeisterung für dieses Schöne nichts von dem hat, was die alte römische Theaterpolizeiordnung als vergognoso fanatismo be- zeichnete und (wiewohl vergeblich) verbot. Und es schwebte ein eigen glücklicher