Seite - 322 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

322 November 1872 205 210 215 220 225 230 235 240 245 mir Schuberts an sich sehr hübsche, aber fast ängstlich nach der damaligen obser- vanzmäßigen Ouverturenschablone (wie eine Chria aphthoniana mit ihrem laus auctoris, dictum, paraphrasis u. s. w.) geformte „Rosamunden“-Ouverture vollends wie Kinderarbeit vor. Das Violinconcert spielte Herr Concertmeister Edmund Sin- ger von Stuttgart; – nicht großer, aber zauberhaft schöner Ton, Feinheit, Solidität und eine eigenthümlich edle Art des Vortrages zeichnen den Künstler höchst vor- theilhaft aus, dem es auch sofort gelang, sich die Sympathien des Publicums zu erringen. Zum ersten Allegro des Concertes gehört mehr Kraft, hier bleibt Ferdinand Laub unübertroffen, aber die gesangvolle Romanze haben wir kaum je schöner vortragen hören. Robert Volkmanns Serenade für Streichinstrumente hat- te einen Erfolg, zu dem wir dem Componisten vom Herzen Glück wünschen. Das Publicum hätte am liebsten jeden Satz noch einmal gehört. Volkmann ist übrigens doch einer von jenen, welchen man erst Kränze winden und Ehrensäulen errichten wird, wenn sie schon dort sind, wo man nach Kränzen und Ehrensäulen nichts mehr fragt. Seine Serenade ist das feinste, reizendste Ding von der Welt. Ganz eigen sind ihm seine so pikanten und doch so natürlichen Rhythmen und ein leiser Zug magyarisirenden Wesens, der ihm in Ungarn ange- flogen, giebt seinen Arbeiten ein eigen originelles Gepräge. Ein wahrer Triumph des Orchesters war Schumanns erste Symphonie, die ich früher nie und nirgends auch nur annähernd in solcher Vortrefflichkeit gehört. Schumann schrieb dieses jugendfrische, blühende Werk in der glücklichsten, schönsten Zeit seines Lebens – als er daran war, mit seiner nach langen Kämpfen errungenen Clara den ewigen Bund zu schließen. Das edle Paar ahnte damals nicht, daß sich sein Lebensge- schick bald genug in schwarze Schleier hüllen werde. Mit dieser Symphonie und der ziemlich gleichzeitigen „Peri“ schrieb sich Schumann zugleich sein musikali- sches Meisterdiplom und er bewies mit ihr der Erste (denn Mendelssohns A-moll-Symphonie kam später), daß man nicht nöthig habe, nach Beethoven das ganze Genre der Symphonie beiseite zu legen – eine Meinung, auf welche man z. B. durch Spohrs von Nummer zu Nummer immer langweiliger und leerer wer- dende Symphonienwerke einerseits und durch die genialen Ungeheuerlichkeiten Berlioz’ andererseits recht leicht hätte kommen können. Was in Schumanns Symphonie am meisten überrascht, ist die höchst meister- liche Behandlung des Orchesters, bei welcher man nicht recht begreift, wie sie ihm ohne vielfältige vorher gemachte Erfahrung möglich gewesen. Da redet jedes In- strument so recht seine eigene Sprache und jedes an rechter Stelle, sogar der Tri- angel, der einmal im ersten Satze seine goldenen, hellflimmernden Blitze über die Tonmassen hinüberzittern läßt. Schumann wollte diese seine Tondichtung mit dem Titel einer „Frühlingssymphonie“ bezeichnen; er begnügte sich dann mit dem einfachen jetzigen. Aber auch ohne die Ueberschrift – es ist helle Frühlingslust, heller Maienjubel, welcher in jedem Tacte dieses Tongedichtes lebt. Und so hat die Symphonie diesmal auch gewirkt. Das Publicum, welches gleich mitten in den ersten Satz hinein eine Stelle applaudirte, verließ den Saal zum Schlusse in einer eigen gehobenen Stimmung. Herr Hofcapellmeister Dessoff leitete die Auffüh- rung mit gewohnter Meisterschaft – es ist etwas merkwürdig Belebendes in seiner Art zu dirigiren, der deutende Blick, die winkende Hand scheinen im ganzen Or-