Seite - 337 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

337 Dezember 1872 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Instrumentes und feinsten Geschmack. Herr Labor, der das Concert spielte, wurde seiner Aufgabe in vorzüglicher Weise gerecht. Von wem war die ganz vortreffliche, echt Mozart’sche Cadenz im ersten Satze, welche so sinnige Combinationen der einzelnen Motive brachte? Von den drei Sätzen des im Ganzen sehr schönen Concertes fällt das Rondo (wie auch sonst bei Mozart zuweilen) gegen die beiden früheren etwas ab, – höchst inter- essant ist der erste Satz, dessen zweites Motiv merkwürdig an eines der Papageno-Lie- der anklingt. Das Andante enthält eine Menge reizender Klangmischungen. Es ist und bleibt wahr, was (glaube ich) Otto Jahn sagt: „daß, wer Mozarts Klavierconcerte nicht kennt, sich Kenntniß Mozart’scher Klaviermusik nicht zutrauen dürfe“. Erfreu- lich also, daß man diese vergraben gewesenen Schätze wieder hervorzusuchen beginnt und daß man sie mit der, wie Lichtenberg sagen würde, „Verschönerirung“ sogenann- ter „moderner Bearbeitungen“ verschont. Wer durch Virtuosität im großen und mo- dernen Styl glänzen will, dem bleiben Liszts beide Concerte und anderes Gute und Beste unbenommen. Wenn Liszt z. B. in Franz Schuberts großer, sogenannter „Wan- derer“-Phantasie das ganze Final in seiner Weise umcomponirt oder umfärbt und seine Umarbeitung in der schönen Cotta’schen Edition neben dem Original abdru- cken läßt, so bleibt die Sache lehrreich, obschon man auch hier besser beim Schu- bert’schen Schubert bleibt, als nach dem Liszt’schen Schubert greift. Wenn aber Taus- sig C.  M. v.  Webers „Aufforderung zum Tanz“, die doch an sich brillant genug und wovon jede Note dem deutschen Volke – was sage ich: allen Musikfreunden der Welt – bekannt und lieb ist, ausdrücklich „zum Concertvortrag“ umarbeitet und unter der Last seiner Bravourwirthschaft die ganze Anmuth des Stückes erquetscht, so ist das ein Attentat, gegen das wir protestiren. Auch im Vortrage soll es so sein. Man muß in Mozart nicht Beethoven, in Beethoven nicht Chopin und Liszt hineinspielen wollen. Ehre darum dem trefflichen Labor, der uns Mozart als Mozart brachte! Die beiden Nummern aus Franz Lachners sechster Suite gefielen sehr. Lachner ist auch ein Beispiel jener nur bei einigen deutschen Meistern (Händel, Gluck, J.  Haydn) vorkommenden Spätreife, die ihr Allerbestes zu einer Zeit brachten, wo andere die Feder müde weglegen – als Greise nämlich. Lachners aus seiner letzten Zeit herrührende Suiten sichern ihm einen dauernden Platz unter den deutschen Instrumentalcomponisten; die Simphonia passionata würde es nicht vermocht ha- ben, obwohl er damit einen Symphoniepreis gewann. Was die Aufführung jener beiden Sätze (Andantino und Gavotte) betrifft, so bedauere ich dabei nur Eines: daß Franz Lachner sie nicht gehört. Ich hätte ihm den Lohn wohl gönnen mögen! Beethovens vierte Symphonie schloß ab – unter gespanntem, beinahe andäch- tigen Zuhören des Publicums. Ich habe einmal einen terminus technicus erdacht, den ich dem Leser zu beliebigem Gebrauche hiemit zur Disposition stellen will. Jenes athemlose Horchen im Concertsaale, das nur bei besten Stücken und besten Productionen vorzukommen pflegt, ein Horchen, wo niemand wagt sich zu räuspern oder den Fuß zu rücken, nenne ich „die Mauslaufstille“ – weil man näm- lich eine Maus laufen hören könnte. Diese Mauslaufstille herrschte während der ganzen Symphonie. Jene großen Leute und Seelen, bei denen das kleinste Thier, mit welchem man ihnen kommen darf, der Elephant ist, denken, wenn von Beet- hovens Symphonie die Rede ist, sofort an die Eroica, an die fünfte und neunte,