Seite - 339 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

339 Dezember 1872 105 110 115 120 125 130 135 140 145 das allzu Aufgeregte, die gesteigerten Contraste, das Nervöse und das Ueberkräf- tige der modernsten Kunst. Er malt noch in lauter Feuerfarben. Bei Chopins erster Sonate (deren Mittelsätze zum Schönsten gehören, deren Final vielleicht das Ex- travaganteste und Seltsamste ist, was Chopin geschrieben, und die man in ihrer krankhaften Aufregung, ihrer Vergrämung und Verbitterung nicht hören kann, ohne für den Tondichter etwas wie Mitleid zu empfinden) mochte die Sache gehen; zu J.  S. Bach aber will sie nicht passen, besonders vor dem übertriebenen Pedal- gebrauch hüte sich hier der Künstler! Luigi Breitner hat ohne Frage eine große, vielleicht eine sehr große Zukunft vor sich – er gedenke aber der Worte Goethe’s: „Ein Jeder sei in seiner Art ein Grieche, aber er sei’s“ – und was Goethe’s eben- bürtiger Freund Schiller sagt: „Griechheit, was war sie? Verstand und Maß und Klarheit“. Den besten Commentar dazu mag dem Pianisten die verehrte Clara Schumann geben, deren und ihrer würdigen Genossin Frau Amalie Joachim Ab- schiedsconcert uns das Herz recht schwer gemacht hat. So oft ich die Schumann höre, fällt es mir immer ein, daß diese rein künstle- rische, rein poetische Art des Klavierspiels eine verschollene Tradition sein wird, wenn die Künstlerin einmal in die Ruhe des Privatlebens zurücktritt. Selbst der vortreffliche Bülow macht mir neben der Schumann den Eindruck wie ein genialer Professor, dessen hinreißender Vortrag uns im Tiefsten anregt, vor Allem aber belehrt und gedankenreich entläßt, neben einer Dichterin, wo wir rein und ohne sonstige Nebengedanken und Nebeninteressen im Kunstwerke aufgehen. Clara spielte diesmal die schöne G-moll-Sonate ihres Gatten, das Schubert’sche Im- promptu in C-moll (wahrhaft unvergleichlich), Stücke von Domenico Scarlatti, Mendelssohn und die merkwürdige große Studie von Beethoven, die Variationen in C-moll, wo acht Tacte eines Thema (oder eines Themafragmentes, denn es sieht aus wie der Schluß einer größeren Melodie) dem Meister genügen, eine Welt von Musik zu entwickeln. Frau Joachim begann mit Goethe’s Mignon-Liede und dies- mal soll Goethe an meiner statt urtheilen: „Sie fing jeden Vers feierlich und präch- tig an, als ob sie etwas Wichtiges vortragen wolle – bei der dritten Zeile ward der Vortrag dumpfer und düsterer, das kennst du es wohl drückte sie geheimnißvoll und bedächtig aus, in dem dahin, dahin lag eine unwiderstehliche Sehnsucht und ihr laß uns zieh’n wußte sie bei jeder Wiederholung dergestalt zu modifici- ren, daß es bald bittend und dringend, bald treibend und vielversprechend ward.“ Goethe redet von Mignon, es paßt aber buchstäblich auf Frau Joachims Vortrag. Hinreißend wirkte eine Auswahl aus Schuberts „Müllerliedern“. Das meist für sehr undankbar gehaltene Lied „Pause“ trug Frau Joachim bewundernswerth vor und tief rührend die „liebe Farbe“. Da war nun im übervollen Saale „Mauslaufstil- le“ und dann ein Applaus à tout rompre, wie die Franzosen sagen. Bei „Eifersucht und Stolz“ ließ sich das Publicum die Wiederholung nicht nehmen, – dabei war nun freilich das haarscharfe Einhalten der Grenze zwischen dramatischem und rein liedmäßigem Vortrage geradehin einzig. Frau Joachims künstlerischer Credit steht, glaube ich, in Wien jetzt ein für alle Male fest und selbst jene stimmen ein, die anfangs nicht so recht mit wollten. Das Opernhaus brachte Sonntag das kleine Doppeljuwel „Abu Hassan“ und „Häuslicher Krieg“ bei ausverkauftem Hause und unter lebhaftestem Beifall.