Seite - 354 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

354 Dezember 1872 90 95 100 105 110 115 120 125 130 eine geistvolle Dichtung in Tönen? Erinnert euch also der „Najaden“, ihr Herren, – auch die „Waldnymphe“, obwohl beträchtlich schwächer, ist doch ein wahrer Genuß gegen Ehlerts unerquicklichen Hafis. Die Florentiner brachten uns ein Haydn’sches, Beethoven’sches und Schu- bert’sches Quartett. Benedetti siano! Bei Beethovens Stück (es war das letzte Quar- tett aus op.  18) können wir eine Bemerkung nicht unterdrücken. Hat dem Meister zu dem herrlichen Satze „la malinconia“ nicht etwa der Anfang von Zumsteegs „Melancholikon“ bewußt oder unbewußt die Anregung gegeben? Ein Anklang ist da, aber allerdings nur, um die immense Superiorität Beethovens zu zeigen. Rei- zend ist’s, wie Beethoven mit dem gaukelnden Final die Melancholie wegscherzen will, wie aber das lustige Finalmotiv am Ende selbst von Schwermuth angesteckt und einen Moment lang auch schwermüthig wird. Beethoven war nicht bloß Ton- setzer, er war Tondichter! Was sagt dazu der inhaltlose Berliner Musikprofessor oder der Berliner Professor der inhaltlosen Musik, dessen wir neulich gedacht? Er schweigt vermuthlich und ignorirt, denn es ist (und nicht bloß auf musikalischem Gebiete) das bequemste Auskunftsmittel: einfach zu ignoriren, was eine Lieblings- idee kreuzen oder gar widerlegen könnte. Ich erinnere mich, in einem Mährchen gelesen zu haben, wie sich ein Schmied- geselle dem Satan verschrieb, damit ihm dieser „einen Amboß schaffe, der nicht kehlholt“. Ich will dem Freund Becker zu nichts Schlechten gerathen haben, aber könnte er nicht irgendwo einen Geist finden, der ihn gegen das Springen der E-Saite deckte? Dies (und das laute, lange Stimmen zwischen den einzelnen Sät- zen) ist die Achilles Ferse des Florentiner Quartetts. Schon in Florenz (erinnere ich mich) sprang, gerade als die Herren mit Mendelssohns reizender Canzonetta im Es-dur-Quartett op.  12 fertig waren, die perfide Saite und so weiter. Es beeinträch- tigt den Genuß, wenn man ewig in der Angst schwebt, jetzt, jetzt, wenn Becker gerade auf seiner Geige singt wie alle neun Chöre der Engel, werde es krachen und die Cantilene ein Ende mit Schrecken nehmen. Das dritte Hellmesberger’sche Quartett bot großen Genuß. Die wechselseitige Aemulation zwischen Florenz und Wien, zwischen Becker und Hellmesberger ist nur unser Vortheil. „Sitz’ er dem Feind nur immer in den Hosen“, schrieb der alte Fritz einem seiner Generale. Wenn ein Quartett so dem andern „in den Hosen sitzt“, so befinden wir uns dabei aufs beste. Beethovens wunderbares Quartett op.  74 (die unpassende Benennung „Harfenquartett“ bitte ich auch über Bord zu werfen) habe ich schöner nie gehört. Dem Violaspieler mein besonderes Compli- ment, daß er die Triolenvariation im Finale ganz im Beethoven’schen Geiste spiel- te und nicht sentimentalisirte. Prachtvoll klang das Bach’sche Concert, dessen Pianopart Frl. Gabriele Joel ganz ausgezeichnet ausführte. Die junge Künstlerin, deren Talent wir immer sehr hoch geschätzt, hat sich durch diese Leistung ein künstlerisches Creditiv für alle Folgezeit ausgestellt. Wenn man sieht, wie so viele Spieler an Bach herumtasten und augenschein- lich nicht wissen, wo und wie sie mit ihm fertig werden sollen, so mußte man wohl angenehm erstaunen, ein junges Mädchen die Donnersprache des Leipziger Can- tors so unbefangen und sicher nachsprechen zu hören, als sei es ihre Mutterspra- che. Herr Doppler bei der Flöte, Herr Concertmeister Hellmesberger bei der Vio-