Seite - 360 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

360 Jänner 1873 45 50 55 60 65 70 75 80 85 nach laut. Schumanns Zeitschrift brachte, als Mendelssohn 1835 die Symphonie in Leipzig aufführte, eine „Fastnachtsrede Florestans“ – jeanpaulisch, wie es damals Schumanns Art war, und sehr à la Schoppe polemisirend; vor lauter humoristi- schen Hieben gegen die „Philister“ hat Florestan kaum Zeit, über das Werk etwas Genügendes zu sagen, ja mehr zu thun, als über den Meister desselben einige hohe Worte im Allgemeinen zu sprechen. Ortlepp, sonst in seinen wüsten Phantasien oft so unausstehlich, schrieb einige gute Blätter über die Symphonie, auch sehr à  la Jean Paul – man wird gleich in den ersten Worten durch eine directe Reminiscenz an die bekannte „Neujahrsnacht eines Unglücklichen“ erinnert. Griepenkerl hat die „Neunte“ zum Mittelpunkte seiner Novelle „Das Musikfest oder die Beet- hovener“ gemacht – er bringt höchst geistvolle ja ein für alle Mal das Richtige bezeichnende Aeußerungen, er schlägt der Erste den vollen Ton der Bewunderung für ein Werk an, in dem er ein Abbild der Welt und Menschheit und ihrer Ge- schichte, ja (nach seiner Weltauffassung) eine prophetische Ankündigung einer kommenden neuen Weltära zu finden wähnt. In ähnlichem Sinne hat David Strauß in seinen kleinen Schriften das Werk aufgefaßt und – abgelehnt. Eine kleine Broschüre, die vor etwa zwei Jahren er- schienen, steckt die Partitur in die philosophische Retorte und destillirt „Ideen“ heraus. Dankenswerther ist ein eben erschienenes Schriftchen von Heinrich Porges, in welchem dieser heißeste unter den Wagner-Bewunderern (es müßte ihm denn L.  Nohl den Rang streitig machen) die Worte reproducirt, welche Wagner jüngst bei der Probe des Werkes in Beyreuth hören ließ, und da ist viel Interessan- tes, manches ganz Treffliche darunter. Was man aber auch an Commentaren und Exegesen gebracht (die „Neunte“ fängt in diesem Sinne fast schon an ein Seiten- stück zu Goethe’s „Faust“ zu werden), Alles ist weit überboten in einer 1848 in Dresden erschienenen Novellensammlung „Bergan“ – hier ist die neunte Sympho- nie die „Geschichte der Diana und des Endymion“ – der Anfang (die tremoliren- den Quinten) malt den Mondesaufgang u. s. w. Im Scherzo tanzen die Nymphen: „stellet euch!“ u. s. w. und im Trio hat eine der Nymphen neckend die Gestalt Endymions angenommen (!) und flötet der Göttin ein „einfältig-menschliches“ Lied. Zuletzt verliert die arme Diana ihren Schäfer und darüber wird „Freude, schöner Götterfunken“ angestimmt – „schreit, tobt, kreischt“, commandirt die Göttin ihre Nymphen „und nennt es Freude“. Also – nur mit ein bischen anderen Worten – Famulus Wagners: „sie toben, wie vom bösen Geist getrieben, und nen- nen’s Freude, nennen’s Gesang“. Lichtenberg macht einmal den Vorschlag ein Bedlam für Bücher zu errichten; es wäre der Mühe werth, Dinge wie diese Dianen-Geschichte (z. B. etwa auch Max Waldaus Nachweis, wie Raphaels sixtini- sche Madonna ein Schalks- und ironisches Stück des Malers ist) in einen großen Band unter dem Titel „Tausend und ein Unsinn“ zu sammeln und dann feierlich im Lichtenberg’schen Bücher-Bedlam zu deponiren. Beethoven hat an der neunten Symphonie vom Jahre 1817 bis zum Jahre 1823 gearbeitet, sie ist (trotz der mysteriösen Streichquartette, welche noch nachkamen) eigentlich der Abschluß seines Schaffens, wie für Mozart das Requiem es gewesen. Nach diesen beiden Werken konnten die Meister füglich nichts Anderes thun als „ihr Haus bestellen und sterben, oder unter die Unsterblichen gehen“. Nach