Seite - 364 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

364 Jänner 1873 20 25 30 35 40 45 50 55 60 wie die an das Edelste Mendelssohns anklingende Cavatine „Der Herr erhält, die da fallen“, wie der hart-unbarmherzige Gesang der Babylonier „Heil, Nebukadne- zar!“ mit dem ehernen Glanz seines Trompeten- und Posaunenchores. Es ist er- staunlich, was Publicum und Dirigenten den herrlichsten Werken gegenüber oft für eine vis inertiæ zeigen. Endlich – nach Jahrzehnten – zieht der Capellmeister, da er gerade was Anderes sucht, die vergessene, verschollene Partitur aus irgend- einem Winkel und blickt hinein und staunt und läuft zum Herrn Institutspräses und beide stecken die Nase hinein und staunen: „Himmel, könnte man denn das Ding da nicht aufführen?!“ Und man führt es auf, es macht Sensation u. s. w. Und so wünschen wir denn, daß Hillers Partitur recht bald irgendeiner maßgebenden Persönlichkeit in die Hände gerathen möge! Es hat darüber bisher ein eigener Un- stern geleuchtet. Schumann zum Beispiel muß gerade recht schlecht geschlafen haben, als er seine Kritik über Hillers Oratorium (und jene über Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Musik) schrieb. Wie nun, wenn Hiller Vergeltungsrecht geübt und z. B. über „des Sängers Fluch“ geschrieben hätte? Gestehen wir, daß wir nicht leicht etwas mit so viel tie- fem Unbehagen gehört, wie diese einer todtmüden Phantasie abgerungene Musik, welche in Schumanns allerletzte, trübe Zeit fällt. Wir athmeten ordentlich auf beim ersten Accord der darauf folgenden „Walpurgis-Nacht“ Mendelssohns, die in der Jugendfrische ihrer musikalischen Erfindung und der vollendeten Meister- schaft ihrer musikalischen Durchbildung nach dem Marasmus senilis der Schu- mann’schen Ballade wahrhaft belebend wirkte. Ich habe dazu jene Leute in den Saal herbeigewünscht, welche den guten Felix am liebsten unter einem Monte Testaccio Schumann’scher Partituren begraben möchten. Bei gewissen Werken deutscher Componisten fällt mir immer die eine Närrin aus Kaulbachs Irrenhaus ein: weil die Arme kein Kind hat, das sie doch haben möchte, hat sie ein Brett von Wickelkindslänge eingewindelt und hätschelt und wiegt es in den Armen. Die Componisten schrieben für ihr Leben gerne Opern, aber sie bringen sie nicht an oder sie fallen damit still durch und da schreiben sie denn Opern für den Concertsaal, Opern als Cantaten oder Halboratorien, Opern in partibus infidelium. Schumann fing dieses unglückselige zwitterhafte Genre sol- cher zu Halbopern aus einander gefolterten Balladen in seiner letzten Periode eifrig zu pflegen an. Dabei fuhr niemand schlechter als Uhland, dessen „Glück von Edenhall“, dessen „Sängers Fluch“ sich eine wahrhaft vandalische Appretirung gefallen lassen mußten, bloß damit der Componist für seine Soli, Duos, Chöre u. s. w. Raum gewinne. Jedes Wort dieser herrlichen Dichtungen ist uns in Blut und Leben übergegangen und da kömmt nun Herr Richard Pohl, genannt Hoplit, schneidet des „Sängers Fluch“ in Kochstückchen und stopft die Lücken theils mit anderen Uhland’schen Gedichten, theils mit seiner eigenen Nichtpoesie aus, wie weiland beim zerstückten Pelops ein abgängiges Körperfragment mit Gold aus- geflickt und ersetzt wurde, nur daß das, was Hoplit bringt, beileibe kein Gold ist. Der ganze herrliche Grundgedanke der Ballade ist grausam vernichtet. Der Sänger Uhlands tritt dem blutigen König entgegen, die Poesie dem eiser- nen Tyrannenthum, – durch die heilige Gewalt des Edeln, das er dem Wütherich entgegenbringt, will er „rühren des Königs steinern Herz“. Wenn der nun schreit: