Seite - 372 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

372 Jänner 1873 155 160 165 170 175 180 185 unterschieden wird. Manchmal ist es uns geradezu, als sähen wir Schwinds Bilder leibhaft vor uns. Die hochherrlich schwebende Gestalt Melusinens unter den gau- kelnden, plätschernden Nymphen tritt uns fast vor Augen bei dem oft wiederhol- ten Hauptmotiv jenes vierten Sätzchens – nur war (obwohl es Zellner bei der Pro- be angegeben haben wird) das Tempo bei der Aufführung merklich zu schnell – der Eindruck des wohligen Wogens und Wiegens ging darüber verloren. Der geistvol- le Zug, daß nach der Katastrophe die Oboe mit ihrer zarten, bitter-süßen Stimme einen Anklang an das Thema des wunderbar schönen, ausdruckvollen Andante hören läßt, welches uns Raymunds und Melusinens Liebe und Glück malt, ist auch eine Probe, wie deutlich der Tonsetzer sagen kann, was er sagen will, wenn wir dafür das rechte (musikalische) Wort wie hier gefunden. Besondere Freude hat mir die letzte Nummer gemacht – sie zeigt, was man aus Richard Wagner lernen und holen könne, das nicht bloß für die ganz eigene künst- lerische Individualität dieses musikalischen Mannes des Tages Berechtigung hat. Ohne Tannhäusers Pilgerfahrt wäre diese Bußfahrt Raymunds vielleicht nicht entstanden, und dennoch könnte man für der Reminiscenzenjäger „weit verbreite- te gute Geschlechter“ einen Preis ausschreiben, einen directen Anklang herauszu- finden – es ist eben Stimmung und Farbe im Ganzen. Ich bemerke noch, daß diese fünf kleinen Instrumentalsätze nicht allein durch den äußerlich verknüpfen- den Faden des Programms, sondern auch innerlich durch einzelne Themen und durch die (im Gegenstand motivirte) Wiederkehr des ersten Anfangs zum letzten Schlusse, ganz so und aus demselben Grunde wie in Mendelssohns Ouverture, zusammengehalten werden. Ueber die Art, wie Julius Zellner mit den Klangfarben des Orchesters malt, ist kaum ein anderes Wort als eines der höchsten Anerken- nung zu sagen. Wundersam wohllautende und ganz neue Combinationen hört man und die Feinheit und der Glanz des Colorits hat etwas eigen Zauberhaftes. Wir haben klagen hören, es sei „zu schwach“ instrumentirt. So weit hat uns also, dem Himmel sei Dank, die moderne große Oper gebracht und so harthörig hat sie uns gemacht, daß uns sechs Posaunen und zwei Ophikleiden in die Ohren blasen müssen, wenn wir etwas merken sollen. Ein Correspondent hat jüngst auch „Franz Schuberts Abdul Hassan“ (sic!! – er meint C.  M. v.  Webers ,,Abu Hassan“) für „zu schwach instrumentirt“ erklärt. Wir bitten ausdrücklich und höchlichst um mehr so „schwache Orchestrirungen“. Ich bemerke nur noch, daß nach Zellners poetischem Tonwerke noch die „Coriolan“-Ouverture folgte und Schumanns schöne Symphonie in D-moll, Werke, deren Werth eigens hervorzuheben unnöthig ist und deren Ausführung vorzüglich war. Rezensierte Veranstaltung Philharmonische Konzerte (Fünftes Abonnementkonzert), 12. Jänner 1873, MVgr. Rezensierte Werke Beethoven: Ouvertüre zu Coriolan op. 62 ◼ Mendelssohn: Musik zu Athalia op.  74 (Ouver- türe) ◼ Schumann: Symphonie Nr.  4 d-Moll op.  120 ◼ Julius Zellner: Melusine. 5 symphonische Sätze für Orchester op.  10