Seite - 375 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

375 Jänner 1873 45 50 55 60 65 70 75 80 85 dirbt sich’s. Einzelne Schönheiten blitzen aber auch da momentan heraus. Der überaus warme Beifall, den die Ausführenden nach jedem Stück von einem so gewählten und feinfühlenden Publicum, wie ihre erste Soirée versammelt hatte, fanden, mag ihnen Bürge sein, mit welcher Freude wir ihrem zweiten Musikabend entgegensehen. Der Sonntag brachte uns im großen Musikvereinssaale ein großes, sogenann- tes „Compositionsconcert“, das ist ein Concert, in welchem ein jüngerer Tonsetzer (wie einst auch Franz Schubert that) eine Reihe seiner Compositionen vorführte, Herr Joseph Sucher, Sologesangs-Correpetitor am k. k. Hofoperntheater und Chormeister des akademischen Gesangvereins. Ich war, offen gesagt, durch einige da und dort vorausgejagte Notizen über „Suchers geniale Begabung“ etwas miß- trauisch geworden – solche von unsichtbaren Händen dem daherkommenden Künstler in den Weg geworfene Lorbeerkränze imponiren mir nicht sonderlich. Ich mußte lächeln, als ich im Programme das kleine Gedicht von Heine „Aus alten Mährchen winkt es“ (ein traumhaftes, höchst subjectiv-phantastisches Stim- mungsbild) als Composition für „dreistimmigen Frauenchor und Orchester“ ange- kündigt las. Wir erleben es noch, dachte ich, daß wir Goethe’s „Wer sich der Ein- samkeit ergiebt“ in Doppelchören mit großem Orchester oder das Nachtlied des Einsiedlers „Komm’, Trost der Nacht“ als großes Oratorium mit dreihundert Aus- führenden zu hören bekommen. Indessen kam mir die Partitur zu Händen und erregte in mir einen lebhaften Antheil für den Componisten. Daß ich einen Wagnerianer vor mir habe, sah ich sogleich. Die Wagner-Apostel haben bisher mehr durch ihren Glauben als durch gute Werke die ewige Seligkeit zu erringen gesucht – Wunder haben sie noch weniger gewirkt, weder Kranke geheilt, noch Todte erweckt; eher ein und den anderen Lebenden todt zu machen gesucht, wobei ihnen nur das Unglück passirte, daß sie meist auf Unsterbliche geriethen, die nicht todt zu machen waren. Ihre gedruckten Missionspredigten glichen auch leider weniger der Berg- und Feldpredigt als den Dragonaden à la Louis  XIV. An Glauben aber, wie gesagt, ließen sie’s nicht fehlen und ihr Meister hätte sagen dürfen: „solchen Glauben hab’ ich selbst in Israel nicht gefunden“. Ich jubelte völlig, als ich in Suchers Partitur wirkliches und nicht ge- meines Talent erkennen mußte. Vertraute Anklänge (nicht Reminiscenzen) an Lohengrins „Athmest du nicht“ u. s. w., an den Hörselberg – zeigten mir, wohin des Componisten Neigung gehe. Noch deutlicher zeigte es im Concert die Opern- scene (so muß man es nennen) nach Zedlitz’ Gedicht „Waldfräulein“. Sie könnte von der ersten bis zur letzten Note in irgendeiner bisher unbekannt gewesenen Oper Wagners stehen und würde ihr wahrlich keine Schande machen. Aber – gerade hier fing bei mir der negirende Advocatus diaboli sein Plaidoyer an. Hatte ich mir schon bei dem Heine-Sucher’schen Stücke nicht verhehlen kön- nen, der Componist habe mehr Gewürz in den Topf gethan, als die Speise verlang- te, so sah ich hier vollends deutlich, was er hat und was ihm fehlt. Er hat ein dra- matisches Talent seltener Art: der Moment „Was seh’ ich? – ein Ritter ist’s“ und fast noch mehr die Art, wie das Lied von Geibel „Wenn still mit seinen letzten Flammen“ componirt ist, zeigen es deutlich. Aber soll ihn sein Talent nicht in den Abgrund führen, so muß er erlangen, was ihm völlig fehlt: künstlerisches Maß.