Seite - 376 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

376 Jänner 1873 90 95 100 105 110 115 120 125 130 Dazu wäre allerdings für ihn eine Art geistiger Wiedergeburt nöthig und ob er dazu Lust, ja ob er dazu die Kraft haben wird, ist die Frage. Er lege die Partituren seines geliebten Wagner für einige Jahre (nicht für immer) bei Seite und studire einen anderen, Wagner vielfach verwandten Meister – Gluck. Leider ist Gluck in Wien begraben, auf dem Matzleinsdorfer Kirchhof und auch sonst. Aus Gluck aber könnte Sucher lernen, wie man mit einfachsten Mit- teln größte Wirkungen hervorbringt. Glaube er mir – all das moderne Instrumen- tirungs-Raffinement, über welches die Leute so außer sich sind und welches heut- zutage schon jeder absolvirte Conservatorist weghat, ist nichts oder nicht viel werth. All dieses Mäusegepfeife getheilter Geigen, dieses tiefe Flötengedudel, die mysteriösen Clarinettaccente, die orkanartig anwachsenden Crescendi, die vulcan- artig explodirenden Fortissimi, alle diese Herrlichkeiten werden sich in wenigen Jahren so vernützen, daß kein Mensch sie mehr wird bringen dürfen. Wir sind für den Moment leider dazu verdammt, den orgiastischen Taumelkelch von Musik bis auf die Hefe zu leeren; möglich, daß nach dem Rausche der Katzenjammer kommt, die Musik nach fünfzig Jahren in Sack und Asche Buße thut, sich den verdorbenen Magen durch Fasten herzustellen und etwa nach Händel’scher oder Scarlatti’scher Orchestrirung zu greifen bedacht sein wird. Auch der dramatische Ausdruck ist zu einer völlig unnatürlichen Höhe hi- nausgejagt. Wenn Mozart, Gluck u. A. die Liebe schildern, ist es ein herzerqui- ckender Frühlingshauch über Rosenhügel; wenn Beethoven die Liebe schildert (im „Fidelio“), ist es eine himmlisch reine Opferflamme – wir malen aber nicht mehr die Glut der Liebe, sondern kurz und gut die Brunst, vor der die Grazien erschre- cken und erröthend fliehen. So auch Suchers Waldfräulein und ihr Ritter. Das hat allerdings wieder Wagner auf dem Gewissen mit seinen „weiblichen Idealen“, vor deren Verwirklichung im Leben uns Gott in Gnaden bewahren wolle. Und hüte sich Sucher, hinter dem Texte Wort nach Wort mit dem Illustratorpinsel her zu sein, wie er es in Waldfräuleins erstem Solo thut. Wir haben dann „die Theile in der Hand, fehlt leider nur das geistige Band“. Und sein Genius beschere ihm öfter so ausgezeichnet Schönes wie den Chor „Du blüh’nder Schlee“ u. s. w. Nach sol- chen Zügen darf man von ihm Großes erwarten, wenn er die Kraft hat es zu errin- gen, weniger durch Anspannung als durch Selbstverläugnung. Nicht ohne Besorgniß dachte ich, als ich den ersten Frühlingschor mit seinen Pauken und Posaunen hörte (aus Mendelssohns erstem Chor in der „Walpurgis- nacht“ möge der Componist lernen, was hier der rechte Ton wäre – doch freilich, für Mendelssohn haben die Wagnerianer nur noch ein verachtendes Achsel zucken), als ich, sage ich, diesen Chor hörte, dachte ich mit Besorgniß daran, wenn solches am grünen Holze des Wonnemonds geschieht, wie es dann bei „Lepanto“ zugehen werde, aber meine kühnsten Erwartungen wurden durch dieses Schlachtstück, nämlich einen cantatenartigen Chor mit Orchester zu Linggs bekanntem Gedicht, gegen welchen Beethovens „Schlacht bei Vittoria“ mit sammt ihren Trommeln, Trompeten und Kanonen ein Schlummer- und Wiegenlied ist, übertroffen. Nach diesem Stücke müßte ich an dem Componisten geradezu verzweifeln, trösteten mich nicht so viele schöne Züge in dem, was wir von dieser Bataille zu hören bekamen.