Seite - 389 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

389 Februar 1873 15 20 25 30 35 40 45 50 55 tionen. Der „Erlkönig“ wurde populär und der „Wanderer“ und einiges wenige Andere. Der anspruchslose, einfache Franz Schubert würde sich ohne Zweifel wun- dern, läse er sich und seine Werke unaufhörlich in den Concertprogrammen, sähe er diese endlosen Editionen seiner Gesänge, seiner Klaviersachen, diese Schubert- Albums u. s. w. Welche Veränderung der Dinge! Hatten doch die Firmen Haslin- ger und Diabelli den Verlag der ihnen von zwei Freunden Schuberts und wohl- accreditirten Männern: Leopold v. Sonnleithner und Anselm Hüttenbrenner angebotenen Gesänge abgelehnt, „weil sie sich wegen Unbekanntschaft des Com- positeurs und Schwierigkeit der Klavierbegleitung keinen Erfolg davon ver- sprechen könnten“. Man sieht, daß die Herren Verleger sich zuweilen in ihren Voraussetzungen gründlich irren. Diabelli erhandelte endlich, als die auf Kosten einiger Freunde Schuberts publicirten und bei Diabelli „in Commission“ verkauf- ten Lieder einen namhaften Gewinn abwarfen, von dem unerfahrenen, stets geld- bedürftigen Künstler die ersten zwölf Hefte für 800  fl. CM. (dem armen Schul- meistersohn ein „Vermögen!“); natürlich um das Hundertfache daran zu gewinnen. Denn Musikwerke sind wie das Samenkorn im Evangelium, Etliches fällt auf den Weg, wo es die Vögel des Himmels (die Recensenten) fressen, Anderes auf Felsen- grund, wo es nicht Wurzel fassen kann, Anderes unter Dornen (der Lebensmisere), Einiges auf gutes Land, wo es Früchte trägt, dreißigfältig, sechszigfältig, hundert- fältig – für den Verleger nämlich! Zum Glücke für Schubert war es noch nicht, wie in unserer Zeit, vor welcher Bach mit seiner philiströsen Cantorsperrücke und seinem abgeschabten schwarzen Rocke übel bestehen würde, Glaubensartikel, ein großer Musiker müsse, um ein großer Musiker zu sein, einen brillanten Roman im Geschmacke des Monte Christo leben und eine Nabobs-Existenz führen. Bescheiden und klein war der Lebenskreis, in welchem sich Schubert bewegte, er hätte davon sagen können wie der Schüler in Immermanns Wundern des Spessart: „unscheinbar von außen, aber innen ein glänzendes Fest voller Wunder“. Es lebt sich noch heute behaglich und gemüthlich in Wien, um wie viel mehr zu Schuberts Zeiten, wo Wien noch nicht ein zweites Paris vorstellte, wo das solide Bürgerthum noch nicht hinter dem auf- gewirbelten Staub des raschen Erwerbs und der raschen Verschwendung von Reichthümern verschwunden war, wo die Stadt immerhin ein Phäaken-Sitz hei- ßen mochte, aber in diesem genuß- und lebensfrohen Phäakenthum etwas Naives, Gutherziges, Liebenswürdiges lag und nicht ein orgiastischer Taumel von Lebens- genuß Alles in seine Wirbel zog, wo der Wiener in den Volksstücken, in Raimunds Zaubermährchen das phantastisch gefärbte Bild seines Lebens wiederfand und nicht aus Pariser theatralischen Frivolitäten Pariser Lebensfrivolität lernte oder dramatisirte Leitartikel über politische und kirchliche Fragen zu hören bekam. Schubert war ein richtiger Sohn seiner Zeit und seiner Vaterstadt. Jener Ausruf Fausts von den „zwei Seelen in der Brust“ bezeichnet auf das treffendste sein Wesen – die eine „hielt in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen“, die andere „hob gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen“. Schubert, der gemüthliche Wirthshaussitzer, der mit seinen Freunden Bauernfeld, Schwind und anderen braven Gesellen hinausstapelt nach Döbling oder Grinzing „zum