Seite - 395 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

395 März 1873 20 25 30 35 40 45 50 55 60 gerichtliche Haussuchung gehalten, um Mendelssohn’sches und Schumann’sches Gut zu finden, und hat im aufgeregten Amtseifer Manches confiscirt, worüber sich der Componist sehr wohl legitimiren konnte – überhaupt ist Zellner weder ein Schumanni-, noch ein Mendelssohni-, noch ein sonstiger -aner; seine Schreibart steht eben kurz und gut unter dem Einfluß moderner Musik und das ist ja doch am Ende kein Fehler. Oder soll ein junger Künstler lieber archaisiren? Wenn die Kritik, sobald ein neuer Tonsetzer auftritt, sofort von ihm einige „Bahnbrecherei“ und „Schrankenstürzerei“ erwartet, so vergißt sie, daß wir vor lauter geöffneten Bahnen und gestürzten Schranken ins Ziel- und Bodenlose gerathen würden, falls uns der Himmel in jedem, der die Feder eintaucht, um seine musikalischen Ge- danken in Noten zu bringen, einen neuen Gluck oder neuen Beethoven bescheren wollte. Der Kunststyl einer Zeit gestattet nicht nur, er braucht mehr als Einen Vertreter. In Zellners neuer Sonate können die gewaltigen Anklangs- und Remini- scenzenjäger vor dem Herrn vollends hohe und niedere Jagd halten, ohne auf für sie Jagdbares zu stoßen. Der Componist tritt uns mehr und mehr und besonders in dieser Sonate als musikalisches Individuum mit eigener und bestimmter Physiognomie entgegen. Es freut uns, bei dieser Gelegenheit constatiren zu können, daß Zellners „Melusi- ne“ in Breslau vor Kurzem ganz ausnehmend gefallen hat – zwei Sätze wurden wiederholt, eine zweite Aufführung steht bevor. Ein so entschiedenes Talent wie Zellner und ein so reines, redliches Streben wird und muß sich Bahn brechen, ohne daß er nöthig hat, sich nach dem Rath jenes alten Griechen dem eben bergan rollenden Rade dieser oder jener Partei anzuhängen oder von der Reclame vor sich und hinter sich her trompeten zu lassen. Die andern Nummern, Klavierstücke von Fuchs, Nawratil und Gotthard selbst, Lieder von den beiden Grafen Amadei und Nyáry, und den Herren Riedel, Jakob Fischer und Goldmark boten viel Hübsches, Gutes und Ansprechendes, das Lied des Grafen Amadei gefiel, trefflich von Herrn Walter gesungen, so sehr, daß es zur Wiederholung begehrt wurde. Der junge Graf hat ein glückliches Talent, es ist ihm um die Sache Ernst und die Factur läßt eine geübte und geschickte Hand erkennen. Ein variirtes Thema für zwei Pianoforte von Heinrich von Herzogen- berg hält in den Variationen mehr, als Anfangs das Thema versprechen will, – als Studie ist die Composition recht interessant. Gespielt wurde sie von den Herren Professor Epstein und Sturm mit gewohnter Tüchtigkeit. Von einer Soirée des talentvollen, mit sicherem Schritte der hohen Meister- schaft entgegengehenden, oder sagen wir lieber entgegeneilenden, jetzt schon als ganzer und echter Künstler anzuerkennenden Wilhelm Junck sei bloß bemerkt, daß er Spohrs herrliche Gesangsscene (bekanntlich ein Violinconcert unter diesem Titel) und eine sehr anmuthige Barcarole desselben Componisten spielte und zwar trefflich spielte. Man sollte den edlen deutschen Meister Spohr nicht in so unver- antwortlicher Weise vernachlässigen, wie dermal geschieht – und so auch J.  N. Hummel und einige andere. Es wird indessen, trösten wir uns, wieder die Zeit kommen, wo die Pianisten nach Hummels Septett und A-moll-Concert greifen und wo sich die Theaterdirectionen erinnern werden, daß die Opernliteratur an Spohrs „Faust“ und „Jessonda“ zwei Meisterwerke ersten Ranges besitzt.