Seite - 409 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

409 März 1873 160 165 170 175 180 185 190 195 200 compositionen versieht, die Orchesterinstrumente, ihre Mischung und Wirkung genau kennt, versteht sich von selbst. Die Factur der Oper ist also in der Orches- terpartie mit sicherer Hand gefügt, auch die Stimmen sind gut und wirksam be- handelt – bis auf die höchst curiose Bravourarie der Gräfin im Klosterhof. Zuweilen taucht ein pikantes Polkamotiv auf, das uns im Tanzsaale gewiß sehr gefallen würde. Die Polka spielt überhaupt eine große Rolle, bis zum Trinkliede Arthurs hörten wir diesen anmuthigen Tanz mindestens 12 bis 13 Mal. Dazwi- schen Walzer, Ländler u. s. w. – mitunter einen ganz hübschen Anfang, welcher wirklich nach der Oper klingt, aber bald, sehr bald hüpft die beliebte Polka oder sonst etwas Aehnliches dazwischen; der Componist gleicht einem Canarienvogel, der sein eingelerntes Stückchen zwar anfängt, aber ehe man sich dessen versieht, in seinen natürlichen Waldgesang zurückfällt. Manches, wie der Schluß des ersten Actes, tritt mit der ganzen Prätension einer großen Oper auf, mit Masseneffecten u. s. w. Herr Strauß hat einen großen Triumph gefeiert und eine reiche Ernte an Lorbeerkränzen mit heimgetragen. Sollte ein neuer Gluck, Mozart oder Rossini erscheinen, so bitten wir dringend, ihn mit anbrüchigen Aepfeln zu werfen, damit doch einiger Unterschied da sei. Wenn wir das in Aussicht stehende Theater der „komischen Oper“ wegen irgend etwas mit Sehnsucht erwarten, so ist es darum, daß wir hoffen, es werde die entweihte Scene der musikalisch-komischen Muse reinigen und uns wieder lehren, an Feinheit, Geist, Witz, echter Komik – nicht an Frivolitäten, Narrenspossen und Schaugepränge, – an wirklich schöner und anmuthiger Melodie – nicht an stun- denlangem Tanzgeklingel – kurz an wirklichen Kunstwerken Freude zu finden. Himmel! was waren das doch für idyllische Zeiten voll paradiesischer Unschuld, wo man „Fra Diavolo“ wegen der höchst harmlosen Abendtoilette Zerlinens „be- denklich“ fand, und wo man am „schwarzen Domino“ Anstoß nahm, welcher uns heutzutage eher wie ein Stück für englische Mädchenpensionate vorkömmt. Mögen sich die Leiter der künftigen neuen Unternehmung der reichen Literatur erinnern, welche ihnen zur Verfügung steht; und mögen neue Talente ein Gebiet betreten, wo viele und echte Lorbeern zu holen sind. Ja, möge uns der Himmel einen neuen „Bänkelsänger“ wie Wenzel Müller bescheren, dessen volksthümliche Musik – ein echtes Product des lustigen, herzlichen Alt-Wien – kerngesund war, dessen Weisen zum guten Theil als Volksmelodien fortleben und welchem Riehl ein verdientes Ehrendenkmal gesetzt hat. Aber weg mit der Pariser überreizten, corrupten Ueberfeinerung! Die neueste einheimische Operette schildert uns das geist- und weltliche Rom mit so erstaunlicher Treue und Wahrheit, daß es kein Wunder ist, wenn uns eine Merkwürdigkeit Roms in Erinnerung gekommen ist, wohin wir das ganze Genre der sogenannten „modernen Operetten“ wünschen; es ist die – Cloaca maxima. Es war, wir haben es schon gesagt, Zeit, einmal ein offenes und rückhaltloses Wort zu sprechen. Wenn dieser oder jener darüber Zeter und Wehe schreien sollte, so bedauern wir es, können es aber nicht ändern. Wir wollen die Fahne echter Kunst im Namen der Kunst selbst, im Namen der Sitte und Cultur so lange hoch halten, als unsere Kräfte ausreichen. Der „Carneval in Rom“ an sich würde uns schwerlich zu so eingehenden Erörterungen bewogen haben – eine vereinzelte