Seite - 433 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

433 April 1873 10 15 20 25 30 35 40 45 50 gut.“ Die Symphonie kam in diesem Schlußconcerte wirklich wie eine Retterin und Gutmacherin nach den ihr unmittelbar vorangegangenen Nummern. Spohrs Jessonda-Ouverture ist eine sehr edle, sehr fein empfundene Musik, sie haucht, wie die ganze Oper, völlig Blumendüfte aus und der Gegensatz der Todtenfeier der Braminen und des Kriegsgesanges der Portugiesen in der Einleitung ist oder wäre so interessant wie möglich, hätte Spohr nicht durch halb unmögliche Tonarten, wie Es-moll, Ces-dur u. s. w., die Sache, was den Punkt des reinen Zusammenstim- mens betrifft, beinahe in Frage gestellt – aber wenn eine Spohr’sche Ouverture selbstständig, das ist nicht als Einleitung der Oper selbst gespielt werden soll, so ist die prächtige, feuer- und schwungvolle zur Oper „Faust“ jedenfalls weitaus wirk- samer, vielleicht selbst die zum „Berggeist“. Mendelssohn, der Meister des herrli- chen Klavierconcertes in G-moll, hat nicht eben seine gute Stunde gehabt, als er seine „Serenade“ mit dem nachfolgenden „Allegro giojoso“ schrieb. Es ist, als habe Mendelssohn hier alle seine schwachen Seiten – welcher Mensch und Künstler hat nicht dergleichen? – wie in einer negativen Musterarbeit darlegen wollen. Herr Breitner spielte die wenig erfreuliche Composition mit Sorgfalt und, wie sie er- heischt, delicater Zierlichkeit. Bei diesen musikalischen Phrasen ohne rechten Inhalt und dem eleganten Zierwerk ohne rechte Bedeutung läßt sich für die Sache auch nicht mehr thun, – als Motto könnte man aber Mephisto’s Spruch darüber schreiben: „Es krabbelt mir wohl um die Ohren, allein zum Herzen dringt mir’s nicht.“ Mit Mephisto hatten wir diesmal wirklich zu thun; mit dem „Mephisto-Walzer“ von Liszt. Der Compo- nist fand dazu die Anregung in einer bekannten Episode des Lenau’schen „Faust“. Daß er sie gefunden, wundert uns etwas. Was der Dichter hier im Zusammen- hange des ganzen Poems und zu klar vorliegenden Zwecken der ganzen von ihm erfundenen Fabel sagt und schildert, mag dort an rechter Stelle sein, obwohl auch hier die Frage bleibt, ob Lenau nicht schon über die Grenze des Zulässigen gegan- gen. Die Hand des illustrirenden Zeichners wird aber vor den Bildern, welche ihm der Dichter hier entgegenhält, zurückschrecken und den Musiker rettet nur, daß seine Kunst eben nur tönende Hieroglyphen bringt und selbst im gelungensten Falle in ihren Malereien nur bis zu einem gewissen Grade deutlich werden kann. Wer Lenau’s Verse in Erinnerung hat, wird Liszt das Zeugniß geben müssen, daß er die Musik deutlich und treffend genug sagen läßt, was ihm der Dichter in seiner Sprache vorgesagt. Beethoven soll (mit Unrecht) am Don Giovanni Anstoß genommen haben: „die heilige Tonkunst“, soll er gesagt haben, „sollte sich nie als Vehikel für einen solchen Text hergeben“. Da ist nun allerdings Text, Worttext. Aber unsere Instrumentalmusik hat so deutlich sprechen gelernt, daß sie unter Umständen eines Worttextes entbehren kann. Und da ist es nun eine Frage, ob Jean Paul, falls er den Mephisto-Walzer zu hören bekäme, seine Behauptung: „die Musik sei unfähig, das Böse auszudrücken“, nicht zurücknähme. Genug – Liszt fand in seinem Dichter Anregung – natürlich geht er über das bloße Spielen der „Fiedel“ des Originals weit hinaus. Mephisto beginnt gleich mit Riesenaccorden, wie sie vielleicht im neunten Höllenkreise in einem infernalen Conservatorium nach einem dämonischen Lehrbuche des Generalbasses gelehrt werden, und nun rückt Bild nach Bild an uns vorbei bis zuletzt zur schlagenden Nachtigall.