Seite - 439 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

439 April 1873 120 125 130 135 140 145 150 155 160 bloß deßwegen, weil der Artikel blank aus Schillings Lexikon abgedruckt ist, wel- ches 1835 bis 1838 erschien. Es überrascht uns ferner, wenn wir mitten unter den mit „S“ anfangenden Namen einen Artikel antreffen: „Bergopzoomer Johann Bapt.“ Warum aber? Weil dieser Schauspieler und Schauspieldirector Ehemann der Katharina Schindler war, von welcher der vorhergehende, aus Schilling entlehnte Artikel handelt, welchem der über Bergopzoomer aus Wurzbach herübergeholte angehängt worden ist. Die Biographie des Componisten jenes bekannten „Ecce quomodo moritur justus“ lesen wir sogar zwei Mal – ein Mal als „Jacob Händel“ und gleich darauf ein zweites Mal als „Jacobus Gallus!“ Er hätte aber als Händel so wenig hieher gehört wie als Gallus, denn er ist weder ein Mähre, noch ein Böhme, noch ein Schlesier, sondern ein Krainer – man müßte denn in Anschlag bringen, daß er sich in Prag unter den Musikern Kaiser Rudolf  II. befand. Dann müßte aber auch Philippus de Monte, Tiburz Massaini, und wer nicht alles, seinen Artikel haben. Daß Gallus (auch hier wieder) zum ebenbürtigen Rivalen Palestrina’s (!) gemacht wird, ist eine Taxirung, gegen wel- che schon Fétis mit Recht energische Einsprache erhoben hat. So finden wir auch einen gewissen Otto Kitzler aus Dresden; wir lesen staunend sein langes curricu- lum vitæ, bis wir endlich belehrt werden: er habe unter Anderem auch drei Jahre lang in Brünn die Oper dirigirt, wo er „Dinorah“, „Hans Heiling“, „Die Africane- rin“, den „Lohengrin“ und „Fidelio“ einstudirte. Hat jemand Lobwürdiges geleis- tet, so kann er hier überhaupt auf vollste Anerkennung seines Strebens zählen. Wer sollte aber nicht lächeln, wenn uns z. B. S.  130 Franz Krommer im Nim- bus eines großen Tonsetzers vorgeführt wird. „Mit Franz Krommer war der letzte Hofcompositeur gestorben“, schließt der ihm gewidmete Artikel. Man könnte bei- setzen: aber nicht der erste Compositeur. Wir waren auch überrascht, S.  216 das bescheidene Frl. Klekler, die wir erst kürzlich in Wien in einem Concert als eine recht wohl geübte Pianistin gehört, hier bereits für die lexikographische Unsterb- lichkeit registrirt zu finden. Die Charakteristiken erinnern mitunter in höchst be- denklicher Weise an das weiland „Jahrbuch der Tonkunst für Wien und Prag“. Aber eine wichtige Rücksicht müssen wir hier eigens betonen: gar Vieles, was der Musikhistoriker als für ihn werthlos bei Seite liegen läßt, hat für den Statisti- ker Werth und Bedeutung. Denn die Kunstpflege hat sicher eben so viel Anspruch, von der Statistik beachtet zu werden, wie Ackerbau, Schifffahrt, Industrie u. s. w. Der Musikhistoriker hat ganz andere Dinge zu thun, als sich um das Gedeihen und Blühen von Gesangvereinen in Städten und Städtchen dritten und vierten Ranges zu kümmern, für den Statistiker hat die Kenntnißnahme auch von dieser Bethätigung geistigen Lebens ihr Interesse. Ferner aber wird der Werth des Buches mit der Zeit sicher steigen, es wird wie Wein von Jahr zu Jahr besser werden und nach achtzig oder hundert Jahren eine wahre Fundgrube bilden, gerade wie jetzt jenes „Wien-Prager Jahrbuch“ – allerdings aber gleich diesem eine sorgsam sich- tende Hand und einen genau prüfenden Blick verlangen. Endlich wollen wir von ganzem Herzen anerkennen, daß überall eine warme patriotische Gesinnung und der redlichste Eifer für das Gute und Rechte aus dem Buche spricht.