Seite - 444 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

444 April 1873 140 145 150 155 160 165 170 175 nisten ins Zimmer tritt und dem Schreibenden mit dem Knochenfinger auf die Schulter tippt und ihm ins Ohr raunt: „Beeile dich, Wolfgang“, oder: „Beeile dich, Francesco, wir müssen bald fort“. Auch Pergolese’s „Stabat“ entstand unter ähnli- chen Verhältnissen und es ist eigen, daß solche sub auspiciis des Todes componirte Musik dann insgemein eine ganz besondere Lebenskraft beweist. In Cherubini’s Requiem ist der erste Satz wunderbar ergreifend, das an Stelle des „Benedictus“ tretende pie Jesu von größter Herrlichkeit; aber das „Dies iræ“ ist endlich doch ein ziemlich bedenkliches Effectstück und nicht bloß um des berühmten Tamtam- schlages willen. Die an sich sehr schönen Einzelheiten des Recordare, Confutatis u. s. w. darf man neben der erschütternden Wahrheit der analogen Mozart’schen Sätze doch kaum nennen. Der Anfang des „Agnus“ vollends macht – wenigstens mir – einen Eindruck, welcher der Andacht ganz und gar nicht förderlich ist; ich sehe (kaum wage ich es zu gestehen) in meiner Phantasie dabei immer eine zum Fangen einer Maus heranschleichende Katze, drei rasche Sprünge und sie hat ihr Opfer. Der Schluß ist dann wieder überaus schön und in dem leisen Ausklingen von ganz eigener Poesie. Im Ganzen kommt mir Cherubini’s Kirchenmusik in seinen Fest- messen vor, wie die großen Prachtkirchen des 17.  Jahrhunderts, Gold und Mar- morpracht von allen Seiten und glänzende, großartige, kühne Fresken am Ge- wölbe; es steckt in dem Allen endlich auch ein sehr tüchtiger architektonischer Kern und es spricht daraus sogar ein großer künstlerischer Gedanke, – ob es sich aber nicht in irgend einem kleinen, bescheidenen Kirchlein in aller Stille besser beten läßt, mag die Frage sein. Cherubini’s Requiem ist wiederum dieselbe gran- diose Kirche, aber diesmal mit schwarzem Tuche verkleidet und mit einem Katafalk in der Mitte. Cherubini’s Vielseitigkeit und sein geistiger Reichthum ist und bleibt übrigens staunenswerth. Er hat neben jenen großen kirchlichen Prachtwerken auch Kir- chenstücke im höchsten, reinsten Palestrina-Styl componirt und hinwiederum neben bescheidenen, leichten Klaviersonaten im Style Haydns und Mozarts Streichquartette von großartigster Anlage, und daß seine Opern, seine Ouverturen auf Beethoven keinen geringen Einfluß gehabt, wird man nicht läugnen dürfen. Ohne den „Wasserträger“ Cherubini’s hätten wir vielleicht keinen „Fidelio“ Beet- hovens. Beiläufig gesagt schätzte Beethoven auch Cherubini’s Requiem aufs höchs- te und beschloß, wie er sagte, „sich Manches daraus ad notam zu nehmen“. Eines höheren Zeugnisses für das Werk bedarf es wohl kaum. Sowohl Bachs als Cherubini’s Composition wurde ausgezeichnet aufgeführt. Herr Dr. Kraus erhielt für die erwähnte Bach’sche Arie reichen und wohlverdien- ten Beifall. Wem gehört die schöne Sopranstimme, welche in einigen Soli her- vortrat? Rezensierte Veranstaltungen Gluck, Orpheus und Euridike (Konzert zum Vorteil des Pensionsinstituts des Hoftheaters), 6.  April 1873, Hofoper ◼ Verdi, Rigoletto, 5.  April 1873, Theater an der Wien ◼ Viertes Gesell- schaftskonzert der GdM, 6.  April 1873, MVgr.