Seite - 446 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

446 April 1873 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Das zweite Concert im Hofoperntheater brachte unter Herbecks geistvoller und begeisternder Leitung die Reformationssymphonie von Mendelssohn. Der Ton- dichter hat diese Composition, welche ihn, wie wir aus seinen Briefen wissen, sehr lebhaft beschäftigte, als sie vollendet war, ins Pult gesperrt, sie erschien erst unter den nachgelassenen Werken. Wodurch Mendelssohn bewogen wurde, eine seiner vorzüglichsten Instrumentalcompositionen zu lebenswieriger Haft zu condemni- ren, bleibt räthselhaft. Es wird wohl immer Geschmackssache bleiben, ob man diese Symphonie oder die römische (in A-dur), welche übrigens das Los ihrer Schwester theilte und auch im Arreste saß, vorziehen soll, so viel aber ist gewiß, daß von den von Mendelssohn „approbirten“ Symphoniewerken weder das nicht recht erquickliche Zwitterwerk, halb Symphonie, halb Oratorium, der „Lobge- sang“, noch die prächtige, aber fast gar zu fein und spiegelblank polirte Symphonie in A-moll den lebenskräftigen, jugendfrischen, wahrhaft herzerquickenden Ein- druck jener beiden anderen herrlichen Symphonien machen, gegen welche sich ihr eigener Schöpfer so seltsam und so schreiend ungerecht bewiesen hat. Wäre gegen die Reformationssymphonie irgend eine Einwendung zu machen, so könnte sie höchstens die Frage über den inneren Zusammenhang der ersten drei Sätze mit der Ueberschrift des Ganzen angehen, – im Finale, wo der Choral „Ein’ feste Burg“ immerfort durchklingt, ist es anders. Dieses Finale hat etwas von dem Geiste rüs- tiger, gläubiger, freudiger, kampfgerüsteter Opposition, es tönt etwas heraus wie Ulrich van Huttens „ich hab’s gewagt“, ja wer Heine’s „Klangbildertalent“ hätte, könnte vielleicht gar das Tintenfaß fliegen sehen, welches der Reformator dem Teufel an den Kopf warf. Die mächtige, mit spielender Leichtigkeit gehandhabte contrapunktische Arbeit dieses Satzes, die Art, wie darin das Choralthema ganz anders und etwas meisterlicher behandelt wird, als in den „Hugenotten“ und neu- erlich im „Kaisermarsch“, stellt Mendelssohns Composition auf eine sehr bedeu- tende Höhe. Wer mir aber z. B. den Zusammenhang des an sich höchst reizenden Scherzo mit den Wittenberger Thesen, dem Wormser Edict und dem Interim, das „den Schalk hinter ihm“ hat, erklären kann – magnus mihi erit Apollo! Die Auffüh- rung war unübertrefflich, der Beifall enthusiastisch. Die Fragmente aus Schuberts „Fierabras“ waren zwar keine „Novität“, aber interessirten fast gleich einer solchen. Eine Antiquität, Rarität und Curiosität jedenfalls war die von Herrn Scaria ausge- zeichnet gesungene Arie des Mafferu aus Winters „Opferfest“, einer Oper, welche ehemals Mozarts Opern von den „Kennern“ nahezu gleichgestellt wurde. Wäh- rend aber die „Entführung“ und die „Zauberflöte“ (die beiden Opern, von denen Winters menschenfreundliche Inkas, edle Engländer, heißblütige Spanierinnen, naive Peruanerinnen, aufgeklärte Ober- und heimtückische Unterpriester des Son- nenheiligthums von Cuzco beinebst den Kriegern, die „zu den friedlichen Caba- nen ziehen“, in gerade absteigender Linie abstammen) ihre frische Lebenskraft behalten haben, könnte uns das „Opferfest“, gleich Kotzebue’s Schauspiel „Die Sonnenjungfrau“, welcher einst so viele Thränen mitleidigen Antheils geflossen, kaum mehr als nur noch den Eindruck einer Parodie machen, obschon Winters Musik an sich durchaus nicht zu verachten ist. Es ist aber schwer, Mafferu’s „So geht’s nicht – so geht’s auch nicht“ (er sinnt auf des von ihm gehaßten Murney Verderben) und die Orchester-Zwischenspiele, welche uns des Bösewichts inner-