Seite - 453 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

453 April 1873 60 65 70 75 80 85 90 95 auflesen, riesige Blumenkörbe wurden auf die Bühne gehoben, aus deren einem eine förmliche Palmengruppe ragte, Blumenkränze, groß genug, um die Patti da- rein wie in eine byzantinische Mandorla in ihrer ganzen zierlichen Person ein- zurahmen, Blumenkronen, ein prachtvoller silberner Lorbeerkranz auf einem Sammtkissen – und Herr Arditi hatte nichts zu thun, als ein Bouquet nach dem anderen auf die Bühne zu reichen, er kam uns am Ende schon vor, wie weiland Döbler: „ein Sträußchen und noch ein Sträußchen“ u. s. w. Doch von Sträußchen im Diminutiv durfte man nicht reden – es waren Riesenbouquets, so groß in der Rundung wie etwa der Schild des Achill, auf dem bekanntlich die ganze Welt ab- gebildet war. Die junge, zarte Frau hätte Extranerven haben müssen, um von dieser Sturm- flut des Enthusiasmus nicht betäubt und angegriffen zu werden, und in der That lag, als sie zum, ich weiß nicht wie vielten Male herauskam und abermals eine Schiffsladung Blumen ihr zu Füßen fiel, in ihren Blicken etwas, wie Voltaire’s be- rühmtes: on m’étouffe de roses, wie eine stille Bitte um Schonung. Es war in dieser Beifallsphrenesie (denn so muß man wirklich sagen) viel Demonstration, es war, als wolle sich das Publicum seinerseits „zeigen“ – und da nun auch das Orchester wiederholt mit „Tusch“, mit Trompetenfanfaren und Paukendonner in den allge- meinen Lärm hineinlärmte, so sollte ich fast denken, daß man die Sache wie das Getöse einer Bataille oder einer Eruption des Vesuv auf einige Meilen Entfernung gehört haben muß. Wollen wir künftig noch steigern, so bleibt nichts übrig, als Karthaunen im Parterre abzufeuern. Es giebt aber noch eine andere Art von Beifall. Er lärmt nicht, er tobt nicht, er zeigt sich im athemlosen Horchen, in dem sympathetischen Rapport zwischen dem Künstler und seinen Zuhörern, in halb unwillkürlichen gedämpften Ausru- fungen, wenn etwas besonders gelungen, und endlich zum Schlusse in einer Art herzlichen, wenn auch nicht langen und nicht spectaculösen Dankes an den Künstler. Diese Art Beifall ist unendlich mehr werth, er ist für den Künstler der schönste Lohn, und auch diese Art Beifalles würde die Patti vollauf verdienen und ihn, ich traue es ihr zu, vielleicht sogar vorziehen. Dazu gehört aber endlich ein anderes Publicum, als es die Patti-Abende zu versammeln pflegen. Wir haben in unseren Tagen verloren, was der Grieche als das Höchste hielt – das Maß. In Zu- neigung und Abneigung, im Leben, im Genießen – in Allem. Die Scenen, wie wir sie eben geschildert, sind am Ende für diese Wahrnehmung ein Symptom von nur untergeordneter Bedeutung, aber doch ein Symptom. Signor Marini gab den hasenfüßigen Corentin so trefflich, wie Signor Graziani den etwas in die Bertram-Farbe spielenden Hoel; Signora Marchisio fand in der nachträglich von Meyerbeer für die Oper hinzucomponirten Arie „à l’Italienne“ reichen und bestverdienten Beifall. Das Orchester that sein Bestes, was freilich für die von Meyerbeer gestellten Anforderungen nicht überall hinreichen wollte. A. W. Ambros. Rezensierte Veranstaltung Meyerbeer, Dinorah, 24. April 1873, Theater an der Wien